Mongolische Literatur

Renate Bauwe

Daschdordshijn Nazagdordsh – Leben und Werk

(Referat auf der Nazagdordsh-Konferenz der SAW der Humboldt-Universität zu Berlin, 1988)

Das kurze Leben des mongolischen Schriftstellers D. Nazagdordsh fällt in die  ersten Jahrzehnte des 20. Jh., eine Zeit, in der das mongolische Volk sich aus der politischen, geistigen und ökonomischen Enge des Feudalismus zu lösen begann. Nazagdordsh erlebte diese konfliktreiche Zeit der nationalen Wiedergeburt mit all ihren positiven und negativen Begleiterscheinungen nicht nur als Zeitzeuge; er setzte sich voller Begeisterung für die Ideale der neuen Gesellschaft ein, bis er an den inneren Widersprüchen ebendieser Gesellschaft zerbrach.

D. Nazagdordsh wurde 1906 im Tüscheet Chan Aimag in der Familie eines verarmten Adligen geboren. Sein Vater Daschdordsh verfügte über eine für die damalige Zeit hohe Bildung. Dadurch war es ihm möglich, als Kanzleischreiber den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Nazagdordsh war sein einziges Kind. Nach dem frühen Tod der Mutter Pagma vertraute man ihn der Obhut eines gebildeten Beamten namens Altangerel an, in dessen Jurte er gemeinsam mit anderen Kindern im Schreiben, Lesen und Rechnen unterrichtet wurde, so dass er seinem Vater bald beim Kopieren amtlicher Schreiben zur Hand gehen konnte. 1917 siedelte die Familie nach Da Chüree, dem heutigen Ulaanbaatar, um. Damit begann für den elfjährigen Nazagdordsh der Ernst des Lebens: Er wurde Hilfsschreiber und ein wenig später regulärer Schreiber im Kriegsministerium der Bogd-Chaan-Regierung. Der Bogd Chaan, unter der Mandschurenherrschaft Oberhaupt der lamaistischen Kirche der Mongolei, nahm nach dem Zusammenbruch der mandschurischen Kolonialmacht im Jahre 1911 den Titel "Der von vielen Erhobene" an und repräsentierte bis 1921 die geistige und weltliche Macht im Lande. Als Angestellter des Kriegsministeriums erlebte Nazagdordsh bewusst die sich immer mehr zuspitzenden Widersprüche der im Untergang begriffenen Feudalgesellschaft und die Enttäuschung der Bevölkerung, die sich in ihren Hoffnungen auf nationale Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit betrogen sah. 1921, als Fünfzehnjähriger, erlebte er die Volksrevolution und die Übernahme der Staatsmacht durch die revolutionären Araten. Er wurde persönlicher Mitarbeiter Damdiny Süchbaatars, des Führers der mongolischen Volksrevolution und Vorsitzenden des Militärrates. Der enge Kontakt zu ihm und anderen führenden Vertretern der neuen Macht, u. a. Chorloogijn. Tschoibalsan und Chatanbaatar Magsardshaw, gestaltete sich für den jungen Nazagdordsh zu einer politischen Schule, durch die seine Weltanschauung geprägt und seine Haltung gegenüber dem jungen revolutionären Staat gefestigt wurde. Im Verlauf der nächsten 4 bis 5 Jahre wurden ihm gleichzeitig mehrere hohe staatliche und gesellschaftliche Funktionen übertragen, die für das Vertrauen sprechen, das die Führer der Revolution in den fähigen jungen Mann setzten, aber auch für dessen politisches Engagement, seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich für die Ziele des neuen Staates einzusetzen.
1922, mit 16 Jahren, wurde er Mitglied und 1923 Sekretär des Zentralkomitees der Mongolischen Volkspartei, die 1924 in Mongolische Revolutionäre Volkspartei umbenannt wurde. Er nahm als Delegierter am 2. und 3. Parteitag teil. 1923 wurde er Sekretär des Militärrates. 1924 betraute man den kaum Achtzehnjährigen mit der Funktion eines Regierungssekretärs. In dieser Eigenschaft arbeitete er zwei Jahre lang an der Seite des damaligen Ministerpräsidenten Zerendordsh, der den Beinamen Chitscheengüj, "der Gewissenhafte", trug und als ein hochgebildeter, strenger Mann mit hohem Berufsethos galt. Unter seiner Anleitung konnte Nazagdordsh sich im Verfassen amtlicher Schriftstücke vervollkommnen, einer Kunst, die in der damaligen Mongolei eine hohe sprachliche Kultur und Sinn für einen künstlerischen Stil voraussetzte. Als einer von kaum zehn Mitarbeitern, aus denen die Volksregierung 1923/24 bestand, hatte Nazagdordsh einen bedeutenden Anteil an der Vorbereitung des 1. Großen Volkshurals, der 1924 die Mongolische Volksregierung proklamierte und die erste Verfassung annahm. Gleichzeitig hatte er leitende Funktionen in dem 1921 gegründeten Mongolischen Revolutionären Jugendverband und in der 1925 gegründeten Pionierorganisation wahrzunehmen. Aus der Zeit, da er Vorsitzender dieser Organisation war, stammt das von ihm verfasste Lied der mongolischen Pioniere, das gelegentlich noch heute gesungen wird. Es war einer der ersten dichterischen Versuche des jungen Nazagdordsh.
Im Rahmen des Revolutionären Jugendverbandes beteiligte sich Nazagdordsh auch an der Arbeit einer Theater- und Laienspielgruppe. Sie hatte sich die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, dem chinesischen Theater und den unter der mongolischen Bevölkerung außerordentlich populären religiösen Tanzspielen (Zam) eine progressive Theaterkunst entgegenzusetzen. Einer der Initiatoren dieser Gruppe war S. Bujannemech (1902-1937), der als begabter junger Journalist, Politiker, Dichter und Schauspielautor Berühmtheit erlangte. Bujannemech gehörte zu den ersten Mitgliedern der Mongolischen Volkspartei, wirkte 1920 bei der Herausgabe der Zeitung Mongolyn ünen ("Wahrheit der Mongolei") mit und gehörte seit den zwanziger Jahren zu den herausragenden Persönlichkeiten der mongolischen Literaturbewegung. 1937 starb er als Opfer der stalinistischen "Säuberungs"-Kampagne.
Auch Pagmadulam, die erste Frau Nazagdordshs, hatte Anteil an den Erfolgen der kleinen Theatergruppe. Gemeinsam verfassten die jungen Leute Texte für Agitprop-Stücke, Lieder und Schauspiele, für die sie vor allem Stoffe aus der Geschichte des mongolischen Volkes und volkstümliche Werke der in der Mongolei verbreiteten indischen Dichtung nutzten. Sie inszenierten die Stücke selbst und führten sie auch selbst auf: in dem gerade eröffneten Kulturhaus von Ulaanbaatar, in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen, auf den Plätzen der Stadt, vor den Klöstern – überall dort, wo viele Menschen zusammenkamen. Sie waren beseelt von den Ideen der Revolution und vom Glauben an eine Zukunft im Sozialismus und bemühten sich, der noch nahezu durchgehend analphabetischen Bevölkerung ihre Ideale nahezubringen.
Diese Gruppe, so klein und bescheiden sie aus heutiger Sicht auch erscheinen mag, spielte doch zu Beginn der zwanziger Jahre eine zentrale Rolle im geistigen und kulturellen Leben der mongolischen Hauptstadt. Sie war die Keimzelle des 1929 gegründeten Schriftstellerverbandes und des mongolischen Theaters. Sie bot begabten jungen Menschen wie Nazagdordsh und Bujannemech die Möglichkeit, ihr Talent zu entwickeln und mit ersten dichterischen Versuchen an die Öffentlichkeit zu treten.
Sie waren sich dessen bewusst, dass ihre Zeit eine andere Kunst und Literatur erforderte als die, in deren Traditionen sie aufgewachsen waren, die sie liebten und verehrten, durch die sie sich aber gleichzeitig eingeengt fühlten. An ihre Stelle wollten sie etwas völlig Neues setzen, und so nutzten sie alle Möglichkeiten, um zu lernen: in Bildungsveranstaltungen des Jugendverbandes oder auch an Hochschulen im Ausland, in der Sowjetunion, in Deutschland, Frankreich und den USA, Ländern, mit denen die Mongolei in den zwanziger Jahren relativ enge Kontakte unterhielt. Weltliche Hochschulen gab es in der Mongolei zu jener Zeit noch nicht.
So begann 1925 auch für Nazagdordsh ein neuer Lebensabschnitt. Er reiste nach Leningrad (Petersburg) und studierte dort zunächst an der Militärakademie. Überwältigt von den Eindrücken der großen europäischen Stadt mit ihrem pulsierenden Leben, den Theatern, Galerien und Bibliotheken, und angeregt durch die Freundschaft mit dem jungen Bjambyn Rintschen – später einer der bedeutendsten mongolischen Philologen und Schriftsteller – der zur gleichen Zeit am Leningrader Institut für Orientalistik studierte, begann Nazagdordsh, sich intensiv mit der russischen und sowjetischen Literatur zu beschäftigen und fand dabei gleichzeitig einen neuen Zugang zum literarischen Erbe seines eigenen Volkes.
Ein Jahr später durfte nach Deutschland fahren, um seine Studien dort fortzusetzen. Über Nazagdordshs Deutschlandaufenthalt ist wenig bekannt. Wir wissen, dass er sich mit seiner Frau Pagmadulam in Berlin und Leipzig aufhielt und an der Leipziger Universität als Gasthörer eingetragen war. Wir wissen weiterhin, dass er in Leipzig die Bekanntschaft des deutschen Sinologen Erich Haenisch, des Übersetzers der berühmten "Geheimen Geschichte der Mongolen", und des namhaften Indologen und Buddhologen Friedrich Weller machte. Durch Haenisch wurde Nazagdordsh auch in den Leipziger "Ostasiatischen Klub" eingeführt. Wir dürfen annehmen, dass diese Begegnungen sein wissenschaftliches Interesse für Probleme der mongolischen Sprache und Geschichte angeregt haben.
Nach seiner Rückkehr in die Mongolei (1929) und einer vorübergehenden Tätigkeit als Dolmetscher im Stahlwerk von Ulaanbaatar, wo damals schwedische Spezialisten beschäftigt waren, wurde Nazagdordsh als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der historischen Abteilung des Wissenschaftlichen Instituts (Sudar bitschgijn chüreelen), dem Vorläufer der späteren Akademie der Wissenschaften der MVR, eingestellt. Damit begann für ihn eine Zeit intensiver und fruchtbarer wissenschaftlicher und schriftstellerischer Arbeit. Er verfasste populärwissenschaftliche Abhandlungen zu historischen, weltanschaulichen, philologischen und ethnologischen Themen; er beteiligte sich an Vorarbeiten für ein fünfsprachiges Nachschlagewerk zur Sprach- und Literaturwissenschaft; er gehörte einer Kommission an, die die Schriftreform vorbereitete (ursprünglich wurde die Übernahme des lateinischen Alphabets angestrebt); er nutzte seine Kenntnisse der russischen und der deutschen Sprache, indem er Gedichte und Erzählungen von A. Puschkin, A. Tschechow, Guy de Maupassant, Edgar Alan Poe und anderen europäischen Dichtern und Schriftstellern ins Mongolische übersetzte. Gleichzeitig übersetzte er Werke wie Albert Herrmanns Marco-Polo-Bericht "Am Hofe des Großkhans", historische Schriften von D. Pokotilow ("Die Ostmongolen während der Ming-Dynastie"), Korostowez ("Von Tschingis-Khan bis zur Sowjetrepublik" und andere. Er übertrug sogar gemeinsam mit dem burjatmongolischen Historiker und Philologen Dshamsrangijn Zeween (Zeween Shamsrano) Abschnitte aus dem "Kapital", Bd. I, von Karl Marx in die mongolische Sprache, was angesichts der damaligen Möglichkeiten als eine beachtenswerte Leistung gewürdigt werden muss.
Für Nazagdordsh als Schriftsteller waren die Jahre 1930 bis 1935 die produktivsten seines Lebens. Der überwiegende Teil seiner Gedichte, seiner Kurzprosa und seiner dramatischen Werke entstand in dieser kurzen Zeitspanne von nicht einmal sechs Jahren. Sein bevorzugtes Thema war das Leben der einfachen mongolischen Bevölkerung am Vorabend der Revolution und unmittelbar danach. Dabei gelang es ihm wie kaum einem anderen, sich von der damals üblichen offenen Didaktik zu lösen. Seine Werke faszinieren bis heute durch ihre klare, koloritreiche Sprache, die der mongolischen Volkspoesie ebenso verbunden ist wie der klassischen Literatursprache. 
Nazagdordshs späterer Ruhm als Nationaldichter begründet sich zu einem nicht geringen Teil auf dem 1933 entstandenen hymnischen Gedicht "Meine Heimat" (Minij nutag). Dieses Werk mit seiner einfachen, bildhaften Sprache, den suggestiven Rhythmen und der anspruchsvollen Reimtechnik knüpft an die besten Traditionen der alten mongolischen Lyrik an. Nazagdordsh lässt sich gleichermaßen von der klassischen Dichtung, der Brauchtums- und Schamanendichtung inspirieren. Vor allem aber ist es wohl der Inhalt des Gedichtes, auf dem seine bis heute ungebrochene Popularität beruht: die liebevolle Beschreibung der Landschaften, die Erinnerung an eine große Vergangenheit und der Stolz auf das in jüngster Zeit Geschaffene. Das Gedicht vermittelt auch heute noch jedem Mongolen, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, seiner Bildung und seiner politischen Haltung ein Gefühl der Würde und des Stolzes, ein so schönes Land seine Heimat nennen zu dürfen. Dem konnte auch die in den letzten Versen aufklingende, nicht mehr ganz zeitgemäße revolutionären Pathetik keinen Abbruch tun.
Nazagdordshs Dichtungen waren niemals Selbstzweck. Er verstand sich immer als Revolutionär, als ein Mensch, dem es aufgrund seiner Bildung obliegt, den weniger Gebildeten die Augen zu öffnen und ihnen Wissen zu vermitteln. Er scheute sich niemals, neben tiefsinniger Naturlyrik und poetischen Miniaturen wie "Der Vogelgraue" (Schuwuun saaral) oder "Winternacht" (Öwlijn schönö) auch Agitationsgedichte und kleine Geschichten für Analphabeten zu schreiben, die auf öffentlichen Veranstaltungen vorgetragen oder über den Rundfunk verbreitet wurden. In einfacher Sprache und volkstümlichen Bildern, mit hintergründigen Spott oder ernst und mitfühlend beschreibt er die Gründe für das Auftreten von Krankheiten und Möglichkeiten ihrer Bekämpfung durch die moderne Medizin. Er ruft seine Landsleute auf, sich nicht bei Lamas und Kurpfuschern, sondern in einem der gerade eingerichteten modernen Krankenhäuser behandeln zu lassen. Sein Freund und Schriftstellerkollege Z. Damdinsüren würdigte Nazagdordshs "Gesundheitszyklus" mit den Worten, Nazagdordsh habe damit dem Gesundheitswesen "keinen geringeren Dienst erwiesen, als Dutzende von Ärzten es hätten tun können." (vgl. Referat Zedews in Utga dsochiol urlag, 21.11.86, S.2.)
Nazagdordsh gilt als einer der ersten Vertreter des Realismus in der mongolischen Literatur. Ihm und anderen Schriftstellerpersönlichkeiten seiner Zeit wie Bujannemech und Damdinsüren, gebührt das Verdienst, eine Literatur begründet zu haben, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt: den Menschen als gesellschaftliches Wesen, als unter den Verhältnissen des Feudalismus Leidenden, aber auch als Kämpfenden, als Lernenden, als Vorwärtsstrebenden, als das Leben bejahendes, denkendes und fühlendes Individuum.
In der inzwischen berühmt gewordenen kleinen Erzählung "Der Sohn der alten Welt" (Chuutschin chüü) beklagt Nazagdordsh das sinnlose, vertane Leben eines jungen Mannes, der in der Abgeschiedenheit des Steppenlebens wie unter einem umgestürzten Kessel dahinvegetiert, der glaubt, jenseits seiner heimatlichen Berge sei die Welt zu Ende, der sein Unglück für Glück und seine Wildheit für Lust hält. In anderen Werken besingt Nazagdordsh mit einer Leidenschaft, wie sie nur ein im Sattel aufgewachsener Mongole empfinden kann, die Schönheit edler Pferde und schöner, stolzer junger Menschen ("Steppenschönheit" – Chödöö talyn üdsesgelen) oder den Zauber der Jahreszeiten ("Die vier Jahreszeiten" – Dörwön zag).
Zu Nazagdordshs bedeutendsten Werken zählt das Opernlibretto "Die drei traurigen Hügel" (Utschirtai gurwan tolgoi), das thematisch und sprachlich der Volksdichtung nahe steht. Ursprünglich als Singspiel konzipiert, wurde das Stück später neu vertont und von Z. Damdinsüren textlich überarbeitet. Dieses Werk gehört zu den Kostbarkeiten des mongolischen Theaters.
Unter dem Einfluss der europäischen Literatur bereicherte Nazagdordsh die mongolische Literatur durch neue Genres. Zur Entwicklung der Lyrik trug er ebenso bei wie zur Entwicklung der in den dreißiger Jahren noch in den Kinderschuhen steckenden Prosaliteratur und Dramatik. B. Rintschen erwähnte, dass Nazagdordsh davon geträumt habe, einen großen historischen Film zu drehen, der den Ruhm seines Volkes in die Welt hinausträgt. Das jedoch war ihm nicht mehr vergönnt. Auch sein Roman "Lose Perlen" (Chelcheegüj suwd) und einige andere Werke blieben unvollendet.
Nazagdordsh starb am 13. Juli 1937, während des Naadam-Festes, unerwartet und viel zu früh im Alter von nur 31 Jahren. Ein wenig später erschienener Nachruf würdigt ihn als einen begabten und verdienstvollen jungen Schriftsteller, dessen Name unauslöschbar in die Geschichte der neuen, revolutionären mongolischen Literatur eingegangen sei. (Schine tol’, Nr. 4, August 1937)
1945 gab Z. Damdinsüren einen ersten kleinen Band mit Werken Nazagdordshs heraus. Eine kurze Bemerkung im Vorwort deutet die tragischen Umstände an, unter denen Nazagdordsh sein Leben beschloss: Zu Beginn der dreißiger Jahre stand das gesellschaftliche Leben in der MVR unter dem Einfluss einer "Linken Abweichung", die auch an Nazagdordsh nicht spurlos vorüberging. Als junger Intellektueller mit adligen Wurzeln, der nach seinem Universitätsbesuch in einem kapitalistischen Land gern "europäische" Manieren an den Tag legte, galt Nazagdordsh seit seiner Rückkehr aus Deutschland als verdächtige Person. Kontakte zu schwedischen und deutschen Bekannten wurden ihm ebenfalls als unvereinbar mit der Haltung eines mongolischen Revolutionärs zur Last gelegt. Um 1932 trennte er sich von seiner Frau Pagmadulam, die ihn während seines Studiums in Leningrad, Berlin und Leipzig begleitet hatte. Er heiratete die Sowjetbürgerin Nina Tschistakowa, die eine deutsche Mutter hatte – ein weiterer "Makel" in Natsagdordshs Biographie. 1932 wurde er völlig unvorbereitet verhaftet und musste ein halbes Jahr unter entwürdigenden Bedingungen im Gefängnis verbringen. Man warf ihm vor, mit Freunden und Familienmitgliedern das europäische Neujahrsfest, Ausdruck bürgerlicher Ideologie, gefeiert zu haben. Die Gedichte, die Nazagdordsh während seiner Haft schrieb, sind erschütternde Dokumente, die jeden Zweifel an der Lauterkeit seiner politischen Gesinnung zerstreuen. Nazagdordsh wurde rehabilitiert. Doch im Winter 1935 erwartete ihn ein neuer, schwerer Schlag. Seine Frau Nina wurde mit der kaum zweijährigen Tochter Ananda-Schri in die Sowjetunion zurückgeschickt, und alle Bemühungen Nazagdordshs, seiner Familie nachzureisen, blieben erfolglos. Er resignierte und vereinsamte immer mehr, ergab sich dem Alkohol und starb völlig mittellos, ohne die großen Hoffnungen erfüllen zu können, die das mongolische Volk in den talentierten jungen Schriftsteller gesetzt hatte.
Heute verehren die Mongolen Nazagdordsh als ihren Nationaldichter und Mitbegründer der so genannten "neuen" mongolischen Literatur. Sein Name und sein Werk wurden zu einem Symbol für ihre nationale und kulturelle Identität.

(Bearbeitet im Dezember 2011)