Mongolische Literatur

Dr. R. Bauwe
Schamanismus bei den Mongolen
(Beitrag zu: "Religionen in Asien". Ringvorlesung des FI Asien- und
Afrikawissenschaften, Wintersemester 1995-96)

Thesen zur Einführung

- Schamanismus ist ein Glaubenssystem, das sich bei den nomadisierenden Jäger- und Hirtenvölkern des zentralasiatischen und sibirischen Raums gegen Ende der Gentilordnung (vermutlich unter matriarchalischen Bedingungen) auf der Grundlage animistischer und totemistischer Vorstellungen herausgebildet hat. Die Verehrung des Himmels, der Erde, der Gewässer und des Feuers – wichtige Elemente des schamanistischen Kultes – hat präschamanistische Wurzeln, ebenso die Vorstellung, dass die Welt von guten und bösen Geistern bevölkert sei, um deren Gunst der Mensch sich bemühen müsse.

- Bestimmten Männern und Frauen wird die besondere Gabe zugeschrieben, im Zustand der Extase mit diesen Geistern in Verbindung zu treten, mit ihnen zu kommunizieren, mit ihnen zu kämpfen, sie zu bannen oder auch zu vernichten. Dank dieser Fähigkeit können sie als Heiler und Wahrsager fungieren und Naturgewalten beeinflussen, sie können Glück und Wohlergehen für einzelne Menschen, für die Ethnie oder den Staat herbeibeschwören, aber sie können auch (z. B. durch die Magie der Verwünschung) das Unglück auf andere lenken. Eine wichtige Funktion übten die Schamanen bei zentralen oder lokalen Opferfesten aus.

- Der Schamanismus glaubt an die Existenz einer vom Körper unabhängig existierenden, unsterblichen Seele und hat eine enge Beziehung zum Ahnenkult. Der Mythologie zufolge wurden die ersten Schamanen durch den Himmel oder eine mächtige lokale Gottheit auserwählt, um als Helfer der Menschen und als Mittler zwischen ihnen und den Göttern und Geistern zu fungieren. Ihre besonderen Fähigkeiten erhalten sie dadurch, dass die Seelen berühmter Vorfahren (auch Stammestotems u.a.) ihnen als Schutz- und Hilfsgeister zur Seite stehen.

- Ihre persönlicher Schutz- und Hilfsgeister stellten die Schamanen (aber auch Nicht-Schamanen) figürlich dar. Diese ongon bewahrten sie in ihren Jurten auf und versorgten sie täglich mit Speise und Trank. Der Ongonkult wurde im 16. Jh. verboten, als die mongolischen Herrscher sich zum Buddhismus (Lamaismus) bekannten.

- Der Schamanismus ist eine polytheistische Glaubensform. Seine Kosmologie beruht auf der Vorstellung von einer Dreiteilung der Welt in Obere, Mittlere und Untere Welt. Diese Vorstellung findet ihren bildhaften Ausdruck im Symbol des Weltenbaums (auch Weltenachse).

1 Schamanismus bei den Mongolen

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