Foto von der Lesung, am 26. Oktober 2016, Leipziger Literaturverlag
Enchbold, Dordshdsowdyn: PAANANDie Geschichte von Zermaa, Zeweg und einer Hündin, die ein Geschenk des Himmels warAus dem Mongolischen von Renate BauweMit Zeichnungen von OTGODiese
Erzählung handelt von Zermaa und Zeweg, deren Liebe auf tragische Weise
scheiterte, und ihrer Hündin Paanan. Die Zeit scheint stillzustehen in
Zermaas Heimat, einem einsamen Steppental im Süden der Mongolei. Eine
Zeitlang leben Zeweg und Zermaa wie im Rausch; alles, was sie anfassen,
gelingt ihnen – ihr Glück scheint vollkommen. Da zieht eines Tages ein
Fremder bei ihnen ein, Bawuu, ein LKW-Fahrer aus Ulaanbaatar, der wegen
eines Schadens an seinem Wagen eine Zeitlang die Gastfreundschaft des
jungen Paars in Anspruch nehmen muss. Doch der „gute Onkel“ aus der
Stadt ist nicht so selbstlos, wie er sich den Anschein gibt. Während
Zewegs Abwesenheit vergewaltigt er Zermaa. Weil sie ihrem Mann nicht
wehtun möchte, verschweigt sie diesem das Vorgefallene, und ergibt sich
schließlich Bawuus Verführungskünsten. Aus Scham und Verzweiflung
verlässt sie schließlich ihren Mann und folgt Bawuu nach Ulaanbaatar.
Zeweg betäubt sich mit Alkohol. Nach und nach vertrinkt er seinen
Besitz und findet falsche Freunde...
Zu den Hintergründen des BuchesD.
Enchbold schrieb seine Erzählung "Paanan" 1989 unter dem Einfluss der
sowjetischen Glasnost-Bewegung, die auch andere mongolische
Schriftsteller zu bedeutenden Werken inspirierte. Dass sie erst Jahre
später publiziert werden konnte, ist der miserablen wirtschaftlichen
Situation geschuldet, die nach dem Zusammenbruch des sozialistischen
Regimes in der Mongolei herrschte. „Paanan“ hat Dimensionen, die weit
über die herkömmlichen mongolischen Tiergeschichten hinausgehen.
Befreit von den ideologischen Zwängen des sozialistischen Realismus,
erzählt D. Enchbold vom Leben der mongolischen Viehhalter weitab von
der Hauptstadt. Doch seine Liebe zu den einfachen Menschen der Gobi,
unter denen er seine Kindheit verbracht hat, sein Interesse für ihre
Bräuche und Mythen, seine Vertrautheit mit der herben Landschaft und
sein Wissen über das Leben der Tiere lässt ihn keineswegs den Blick vor
den Problemen verschließen, die sich aus der Konfrontation des
Nomadentums mit den zivilisatorischen Errungenschaften der modernen
Gesellschaft ergeben und im Verfall überkommener Werte, in
Alkoholismus, und einer Orientierungslosigkeit der Jugend zum Ausdruck
kommen. Es geht ihm im Grunde um die Entfremdung des Menschen von
seiner Natur, ohne dass er sich anmaßt, eine Lösung zu predigen. Zum Autor: D. Enchbold1959 geboren in Ulaanbaatar, aufgewachsen im Südgobi-Aimag.1985 Abschluss eines Geologiestudiums in Ulaanbaatar.1988-2000 Tätigkeit beim Mongolischen Rundfunk und beim Mongolischen Fernsehen in verschiedenen Funktionen.2000
Ernennung zum Chef des Presse- und Informationsdienstes der neu
gegründeten Mutterlandspartei und Chefredakteur der
Literaturzeitschrift „Zog“.2003-2014 lebte er in Chicago, USA.Seit 2014 wieder in Ulaanbaatar.D. Enchbold ist verheiratet und hat zwei Töchter.BuchpublikationenBujls dachin zezeglene: Erzählungen, 1989Paanan: Erzählungen,1997Chün bajchad yuu cheregtej we (dt. „Was braucht man, um ein Mensch zu sein“): Essays, 2001Kadsinog nomchotgoson tüüch: Roman, 2007Filmskripte:Sojoo (Soyo, the fang): Spielfilm, 1990Chojmor öndshich nar: 50-teiliger Fernsehfilm, 2015Zur Übersetzerin: Renate Bauwe1941 geboren in Merseburg1960 Abitur an der Dom- und Ratsschule Halberstadt1960-1966 Studium der Mongolistik und Sinologie in Berlin und Ulaanbaatar1975 Promotion zum Dr. phil.1966-1998
Lehrtätigkeit in den Fächern Mongolische Sprache und Literatur am
Ostasiatischen Institut (später Zentralasiatisches Seminar) der
Humboldt-Universität zu BerlinSeit Anfang der siebziger Jahre Übersetzung mongolischer Literatur.Mitglied des internationalen Übersetzerkomitees der MongoleiMitglied der Sektion Literarische Übersetzer beim Schriftstellerverband der DDRFür ihre Übersetzungen erhielt sie mehrere Auszeichnungen, u.a.:- Übersetzerpreis des Verlags Volk und Welt (1980)- Nazagdordsh-Medaille des Mongolischen Schriftstellerverbands (1986)- Ehrenurkunde des Kulturministeriums der MVR (1987)- Übersetzerprämie des Senats von Berlin (1992)- Ehrenurkunde des mongolischen Schriftstellerverbands (2002)LeseprobeAls
Zermaa aufwachte, räkelte sie sich noch einmal behaglich, um den
letzten Rest Müdigkeit zu vertreiben, dann streichelte sie den gelben
Lichtstrahl. Jedes Mal, wenn sie das tat, glaubte sie in ihrer
Handfläche ein warmes Kribbeln zu spüren. Das gelbe Licht! Sie konnte
sich nicht erinnern, wann das eigentlich angefangen hatte, seit wann
dieser helle runde Fleck, der nicht größer war als der Fuß einer
Teeschale, ihr folgte, wann er ihr Gefährte geworden war in dieser
Einsamkeit, wo sogar die Golios und die Heuschrecken mit ihrem Gezirp
ihr wie Unglücksboten vorkamen. Sie wusste weder, woher er kam, noch,
was es mit ihm auf sich hatte. Irgendwie glaubte sie, dass es der
Schein eines der Millionen Sterne sein könnte, die sie durch das
Rauchloch der Jurte sah, doch von dieser Vermutung oder überhaupt von
diesem Licht –̶ ihrem Licht –̶ mochte sie niemandem erzählen.
Jedenfalls, das hatte sie inzwischen begriffen, konnte es sich um kein
gewöhnliches Licht handeln, denn es wich weder am Tag noch in der Nacht
von ihrer Seite. Jetzt musste sie schmunzeln, denn ihr war eingefallen,
wie ihre Freundin Sewdshidmaa vorgestern extra deswegen zu ihr auf die
Schafweide gekommen war…Sie
hatte gesagt: „Die Leute behaupten neuerdings, du wärst eine Dämonin.
Die Herrin des gelben Lichts. Deine Schafe laufen in einem großen
gelben Lichtkreis herum, sagen sie, und du in einem kleinen.“ Dann war
sie erschrocken zusammengezuckt und hatte sich ängstlich umgesehen.
Zermaa konnte sich gleich denken, von wem dieses Gerede stammte. Sie
druckste ein bisschen herum, dann fragte sie lächelnd:„Und du? Was glaubst du?“„Keine Ahnung. Ich ... ich denke, das kann doch nicht wahr sein.“„Na,
dann wird es auch nicht wahr sein“, sagte Zermaa beruhigend. Doch dann
packte sie plötzlich der Übermut, und sie schrie: „Auaah!! Du kniest ja
auf meinem Licht!“ Da sprang Sewdshidmaa auf die Beine, und weg war
sie, ohne sich noch einmal umzusehen…Die
Sterne, die durch das Rauchloch schienen, hatten noch nichts von ihrem
Glanz verloren. Bis es dämmerte, war also noch Zeit. Jetzt glaubte
Zermaa zu spüren, wie dieses gelbe Licht von unten her ganz sacht gegen
ihre Handfläche pochte. Seltsam war das schon. Es übernachtete direkt
neben ihr. Als ob da ein Mensch schlief. Tagsüber huschte es an ihr hin
und her wie ein von einem Spiegel reflektierter Sonnenstrahl. Sie
spürte, wie es auf ihren Wangen kribbelte, auf den Schultern und sogar
zwischen den Schulterblättern.Erstaunlich
war auch, dass niemand außer ihr etwas davon bemerkte. Nur Badsar hatte
anscheinend etwas mitbekommen. Vor einem Monat war das. Und nun
tratschte er herum und erzählte solche Sachen. Das mit Sewdshidmaa war
ja der Beweis.Es
musste ungefähr zwei Jahre her sein, dass die jungen Burschen
angefangen hatten, Zermaa zur Kenntnis zu nehmen. Sie war höchstens
fünfzehn damals. Wenn sie Schafe hütete, kamen sie auf ihren Pferden
angejagt. Manche waren besonders aufdringlich und verfolgten sie bis
zum Brunnen. Was sie wollten, war immer das gleiche. Unterschiedlich
war nur, wie sie es zu erkennen gaben. Einige hatten überhaupt keine
Hemmungen. Da war mal einer, der sagte ihr direkt ins Gesicht: „Na,
Schwarzauge, wie steht’s? Heute könntest du mir mal eine Freude machen.
Was meinst du? Wenn ich dir den Deel aufknöpfen dürfte … Wir könnten
eine Menge Spaß haben.“Manche
taten, als wollten sie ihr nur ein Geständnis entlocken und nichts
weiter. „Willst du behaupten, dass du’s noch nie gemacht hast? Gib’s
ruhig zu, mal ehrlich! Mir kannst du’s ruhig sagen, ich erzähl es nicht
weiter. Na, sag schon!“Wenn
Zermaa aber merkte, dass einer zittrige Hände bekam und drauf und dran
war, seinen Führzügel loszulassen, wurde ihr die Sache mulmig, und sie
ritt vorsichtshalber auf die andere Seite ihrer Herde. Ein Instinkt
sagte ihr, dass dies die eigentlich Gefährlichen seien. Es kam aber
auch vor, dass ihr einer half, die Schafe zu tränken und dabei kein
einziges Mal den Mund auftat, ein Weilchen neben ihr sitzen blieb, ein
bisschen seufzte und wieder verschwand. Auch solche gab es.Dann
war Badsar aufgetaucht. Er stieg aus dem Sattel und koppelte seinem
Pferd die Vorderfüße. Da war nichts von Händezittern und so. Er saß nur
da und redete belangloses Zeug: von Schafen, von guten Weideplätzen und
wie saftig das Gras sei. Plötzlich aber packte er ihren Arm, zog sie
mit einem Ruck zu sich heran und warf sich über sie.„Älterer Bruder Badsar, was machen Sie ...“ schrie sie auf.„Du wirst gleich merken, was der ältere Bruder macht.“„Sie sind gemein!“„Ts,
ts, ts! Natürlich! Die Frauen mögen mich nicht besonders, das ist mir
nicht neu.“ Kurzerhand schob er ihr den Deel hoch. Sie strampelte
verzweifelt, zerrte ihn an den Haaren, zerkratzte ihm Hals und Mund,
doch es half nichts. Er fesselte sie einfach, indem er ihr die langen
Ärmel über die Hände zog und unter ihren Rücken stopfte.„Älterer
Bruder Badsar, hören Sie doch auf! Ich bin eine Waise … Mich wird
keiner mehr haben wollen ... Haben Sie doch Mitleid! Bitte ...“„Na
und? Wenn dich keiner mehr will, umso besser für dich, und für mich
auch. Stell dich nicht so an! Wir können ja heiraten. Ich bin
vielleicht ein Ekel, aber auch ein guter Ringer. Im Sum bin ich
immerhin Falke . Ich lasse dich schon nicht im Stich, niemals.“ So
näherte sich Badsar langsam aber sicher dem Ziel seiner Wünsche. Zu
allem Unglück kam Zermaa mit dem Hintern auf einem spitzen Stein zu
liegen. Vor Schmerz schrie sie auf, und vor Wut darüber, dass sie
diesen Kerl trotz Aufbietung aller Kräfte nicht vom Fleck bewegen
konnte, fing sie an zu weinen. Schnaufend
ruckte und zerrte Badsar an dem zerknüllten Deel unter ihrem Rücken, um
ihn glatt zu bekommen. „Verdammt nochmal!“ Dann wischte er ihr mit den
Fingerkuppen die Tränen ab. „Was heulst du? Hab dich nicht so! In
deinem Alter! Das ist doch menschlich!"
Foto von der Lesung, am 26. Oktober 2016, Leipziger Literaturverlag
Foto von der Lesung, am 26. Oktober 2016, Leipziger Literaturverlag