"Pferde" aus Comic von Otgonbayar, E
"Das Pferd"
Zeichnung aus Comic
Otgonbayar, E


U. Yadamsuren, Uvgun huurch
"Der alte Pferdegeiger"
Malerei, 79x60cm
Yadamsuren, D
morin khuur
Die Pferdegeige

Mongolische Literatur

Wie die Pferdegeige entstand

Weit im Osten der Mongolei lebte einmal ein junger Pferdehirt. Er hieß Namdshil. Und er hatte eine so wunderschöne Stimme, daß die Menschen von weither kamen, um ihn singen zu hören. Die geritten kamen, stiegen vom Pferde, die zu Fuß kamen, setzten sich auf die Erde und lauschten und staunten und waren wie verzaubert. "Seine Stimme klingt so lieblich wie die eines Kuckucks", sagten sie und nannten ihn Khökhöö-Namdshil, Namdshil den Kuckuck.
Eines Tages wurde Namdshil zum Militärdienst für den Khaan einberufen. Man schickte ihn an die westliche Grenze der Mongolei, weit entfernt von seiner Heimat, und dort blieb er viele Jahre. 
Während dieser Zeit verliebte sich Namdshil in die Tochter des dortigen Fürsten, und diese erwiderte seine Liebe von ganzem Herzen. 
Doch einmal hat auch der längste Militärdienst ein Ende, und für Namdshil nahte der Tag des Abschieds. So sehr er sich freute, seine Eltern und seine heimatliche Steppe wiederzusehen, brach ihm doch der Gedanke, seine Liebste vielleicht nie wieder zu sehen, fast das Herz. Die Prinzessin aber schenkte ihm ein Pferd mit Flügeln, die es verstecken konnte, so daß niemand sie sah. Und sie sagte zu Namdshil: "Mit diesem Pferd wird dir kein Weg zu weit sein. Komm auf ihm zu mir geflogen, damit wir uns treffen können.
So kehrte Namdshil heim. Er hütete wieder seine Pferdeherde und sorgte für seine Eltern. Nun hatte aber eine Dienerin des Fürsten, dessen Untergebener Namdshil war, beobachtet, daß dieser nachts niemals in seiner Jurte blieb, sondern irgendwohin verschwand. Sie ließ ihn nicht mehr aus den Augen und merkte bald, daß es mit dem Pferd etwas besonderes auf sich haben müsse. 
Eines Nachts war Namdshil wieder einmal zu seiner Geliebten geflogen. Bevor der Morgen graute, kam er zurück, band sein Pferd, damit es ein wenig verschnaufen konnte, vor der Jurte an und ging hinein. Doch er hatte vergessen, die Zauberflügel zu verstecken. Wie nun die Dienerin des Fürsten kam, um Namdshils Pferd näher zu betrachten, entdeckte sie, daß ihm hinter den Vorderläufen zwei Flügel hervorschauten, nahm ihre Schere, schnitt die Flügel ab und warf sie fort. Als sie dem Pferd die Flügel abgeschnitten hatte, starb es.
Aus Namdshil wieder aus der Jurte kam, war sein Pferd tot. Tiefe Trauer erfüllte ihn.
Doch das Sprichwort sagt: Im Herzen eines Mannes springt ein Pferd mit Sattel und Zaum umher. Und so bezwang Namdshil seine Trauer. Er schnitt seinem toten Pferd die schönen langen Mähnen- und Schweifhaare ab und band sie zusammen. Wo die Haut am weichsten war, löste er ein Stück ab und gerbte es sorgfältig. Alsdann zimmerte er aus Holz ein Kästchen, bezog es mit der gegerbten Haut und fand heraus, wie er dem Kästchen, um es zum Summen zu bringen, eine Seele geben konnte. Im Bergwald fällte er einen jungen Baum, feilte und schmirgelten das Stämmchen, bis es glatt und schön war und schnitzte in sein Ende den Kopf seines wunderbaren, klugen Pferdes, so daß er es niemals vergessen würde. Unterhalb des geschnitzten Kopfes, dort, wo er in den Hals überging, brachte er zwei hölzerne Wirbel an, um die er das Pferdehaar schlang, das er zuvor in zwei Bündel geteilt hatte. Er legte sie über das hölzerne Kästchen und befestigte sie unten an seinem Boden. (Nun hatte er zwei Saiten.) Mit einem dritten Bündel Pferdehaar verband er die beiden Enden eines schlanken Weidenzweiges und hatte nun einen Geigenbogen. Den rieb er mit Kiefernharz ein, so daß schöne, reine Töne entstanden, wenn er damit über sein Instrument strich.
So hatte Namdshil ein Saiteninstrument geschaffen, die Pferdegeige, auf der er zur Erinnerung an sein geliebtes Pferd wunderschöne schwermütige Weisen spielte. Er lehrte sein Instrument, mit der Stimme des geliebten Pferdes zu wiehern und zu schnauben, oder den Schlag seiner Hufe nachzuahmen, so daß es klang, als käme es wie einst zu ihm getrabt. Immer, wenn er auf seiner Pferdegeige spielte und ihr ihre warmen, langen Töne entlockte, erinnerte sich Namdshil an sein geliebtes Pferd, und mit der Erinnerung kam auf wunderbare Weise wieder Freude in sein Herz.

Übersetzt und nacherzählt von Renate Bauwe, September 2000. Nach: Mongol ardyn ülger domog II(5), Ulsyn chewlelijn gadsar, Ulaanbaatar 1982, 139-140.
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