"Schlangenversammlung" Artist Otgonbayar




"Schlangenversammlung" Artist Otgonbayar
"Schlangenversammlung" Artist Otgonbayar
"Schlange"
Malerei 21x30cm
Otgonbayar, E


Mongolische Literatur

Die Schlangenversammlung

Tsermaas Vater war ums Leben gekommen, als sie noch nicht zur Schule ging. Damals passierte etwas so Ungeheuerliches, wie es die Bewohner dieser Gegend noch nie gehört hatten. Sie erzählten bis heute davon. Und einige alte Leute, (denen Tsermaas Schicksal ans Herz ging), erklärten ihren Kindern und Enkelkindern, die Lusse hätten solches Mitleid mit der armen Kleinen gehabt, daß sie sie an Kindes Statt unter ihre Obhut genommen hätten. Und dann seufzten sie: "Ach ja!"
(Was war damals passiert?)
Tsermaas Vater war Schauffeur beim Parteisekretär des Sum (Dorfes) gewesen. In jenem Jahr hatten sie einen besonders üppigen und geruhsamen Sommer erlebt, und nun war der Herbst eingezogen. An solchen schönen, warmen Herbsttagen, wenn der Airag (Kumys) ungestüm gärte, kamen pausenlos irgendwelche Abgesandte aus der Hauptstadt oder aus dem Aimag (Bezirk). Einen solchen hohen Gast hatte der Parteisekretär zu sich ins Auto eingeladen, und so fuhren sie von einem Hirtenlager zum anderen. Vermutlich kosteten sie dort alles, was es zu kosten gab: vom Airag (Kumys) bis zum hochprozentigen Selbstgebrannten. Der Parteisekretär und sein Gast waren schon recht wacklig auf den Beinen, Tsermaas Vater hingegen, der sich beim Trinken zurückgehalten hatte, weil er ja den Wagen fahren mußte, wirkte nur ein bisschen angeheitert. Er war ein guter Fahrer, das sagten die Leute auch jetzt noch, wenn sie sich an ihn erinnerten. Selbst wenn er nicht mehr geradeaus gehen konnte und seine Zunge sich beim Reden verhedderte - sobald er hinter seinem Lenkrad saß, zeigte er, was für ein Kerl er war; er stimmte sein Lieblingslied an, gab Gas, und ab ging's.
    "Der kühne braune Habicht hat starke Schwingen.
    Oh sorglose Jugend!"
Genauso wird es auch an jenem Tag gewesen sein. Wer dann aber als erster die Schlangen erblickte, und wer, nachdem sie sie erblickt hatten, auf diese Wahnsinnsidee kam, das weiß der Teufel. Dafür interessierten sich die Leute auch nicht sonderlich. Den einzigen Anhaltspunkt hatte anscheinend der besagte Gast aus dem Aimag (der Bezirkshauptstadt) gegeben. Er hatte (nach dieser Geschichte) lange im Krankenhaus gelegen. (Und es hieß, er sei verrückt geworden.) Eines Morgens aber soll er noch einmal zu sich gekommen sein und klar und deutlich gesagt haben: "Es kommt alles davon, dass wir eine Schlangenversammlung verbrannt haben." Dann starb er.
Vom Parteisekretär (, dem Chef von Tsermaas Vater,) munkelten die Leute, er habe damals, als er abends nach Hause kam, seiner Frau erzählt, daß sie einen Schlangenhaufen angezündet und dann auch noch Benzin nachgegossen hätten. "Es war ungeheuer faszinierend", soll er gesagt haben. "Schlangen aus Feuer, und sie schossen wie wild nach allen Seiten. Das reinste Feuerwerk. Und dann konntest du mal wieder sehen, wie heimtückisch diese Biester sind. Zuerst haben sie sich auf der Erde gewälzt und versucht, das Feuer zu ersticken. Aber dann kam so eine große, dicke, lichterloh brennend, direkt auf unseren Wagen zu gekrochen. Wir nichts wie rein und weg." (So soll es der Parteisekretär seiner Frau erzählt haben.)
Einen Monat später stürzte Tsermaas Vater mit seinem Auto einen Abhang hinunter in eine mehr als sieben Ald (Klafter) tiefe Schlucht. Polizisten kamen und jemand vom Gericht, und sie untersuchten alles an Ort und Stelle. "Es ist uns ein Rätsel", sagten sie. "Der Verunglückte hatte keinen Tropfen Alkohol getrunken. Wir können uns nicht erklären, weshalb er dennoch vom Weg abgewichen und im Gelände herumgefahren ist." Dann bekam der Parteisekretär am Ellbogen eine schmerzhafte Geschwulst. Die ließ er sich im Aimag herausschneiden, doch er überlebte den Eingriff nicht. In seinen letzten Minuten verkrampfte sich seine Zunge so, daß er kein Wort mehr herausbrachte. Als die Leute vom Tod des Parteisekretärs erfuhren, und vor allem von den näheren Umständen seines Todes, verbreitete sich das Gerücht von der verbrannten Schlangenversammlung und erfaßte, einer drohenden schwarzen Wolke gleich, ein Ail nach dem anderen.
Der Parteisekretär war noch gar nicht so lange tot, da soll dieser Mann aus dem Aimag(der Bezirksstadt) plötzlich durchgedreht sein. Eines Abends schrie er seine Frau an: "Bild dir bloß nicht ein, dass ich mit dir schlafe! Du willst mich wohl verbrennen?" Und er lief, nur im Schlafanzug und brüllend vor Lachen, auf die Straße. Sein wirrer Geist renkte sich nicht wieder ein, bis zu jenem Morgen, als er noch einmal einen lichten Moment hatte und bei vollem Bewusstsein jenen einen Satz sagte, (nämlich daß alles daher käme, daß sie die Schlangenversammlung verbrannt hätten,) Danach soll er nur noch einmal tief Luft geholt haben, als ob er seufzte, dann war er tot. Seitdem hörten die Gerüchte nicht mehr auf.
Eine Zeit lang herrschte Trockenheit, so schlimm, wie es noch keiner erlebt hatte, und diese Trockenheit dauerte mehrere Jahre an. Ehemals wasserreiche Brunnen waren nur noch halbvoll, andere, die ohnehin wenig Wasser geführt hatten, trockneten ganz aus. Die Menschen flüchteten. Sie folgten ihrem bisschen Vieh auf der Suche nach neuen Weiden. Ob nun diese Dürre gekommen war, weil sie kommen mußte, oder ob sie in Wirklichkeit auf die Geschichte mit den Schlangen zurückzuführen war, das wußte niemand so genau. Doch die Leute meinten, sicher ist sicher, und organisierten heimlich ein Opferfest für den (Gott des Berges) Nomgon owoo, (unter dessen Schutz die Gegend stand, und den sie nun um seine Gunst bitten wollten.) Es gab eine regelrechte Verschwörung. Allerdings wurde dann nichts Gescheites daraus, weil der (Dorf-)Polizist angeprescht kam, die Leute seines Zuständigkeitsbereichs gehörig zusammenstauchte und sie veranlasste auseinanderzugehen. Zwei Lamas, (Mönche), die (extra) aus der (Haupt-)Stadt gekommen waren, nahm er fest, ließ den Wagen des Sum-(Kreis-)Vorsitzenden kommen, und beförderte die beiden auf schnellstem Wege in den Aimag (die Bezirkshauptstadt). Danach fand sich keiner mehr, der den Mut hatte, noch einmal etwas derart Ungehöriges zu initiieren.

Aus: D. Enkhbold, Paanan. Übersetzung aus dem Mongolischen von Renate Bauwe (Bearbeitung für die Lesung am 1.10.2000)

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