Tsermaas
Vater war ums Leben gekommen, als sie noch nicht zur Schule ging.
Damals passierte etwas so Ungeheuerliches, wie es die Bewohner dieser
Gegend noch nie gehört hatten. Sie erzählten bis heute davon. Und
einige alte Leute, (denen Tsermaas Schicksal ans Herz ging), erklärten
ihren Kindern und Enkelkindern, die Lusse hätten solches Mitleid mit
der armen Kleinen gehabt, daß sie sie an Kindes Statt unter ihre Obhut
genommen hätten. Und dann seufzten sie: "Ach ja!"
(Was war damals passiert?)
Tsermaas
Vater war Schauffeur beim Parteisekretär des Sum (Dorfes) gewesen. In
jenem Jahr hatten sie einen besonders üppigen und geruhsamen Sommer
erlebt, und nun war der Herbst eingezogen. An solchen schönen, warmen
Herbsttagen, wenn der Airag (Kumys) ungestüm gärte, kamen pausenlos
irgendwelche Abgesandte aus der Hauptstadt oder aus dem Aimag (Bezirk).
Einen solchen hohen Gast hatte der Parteisekretär zu sich ins Auto
eingeladen, und so fuhren sie von einem Hirtenlager zum anderen.
Vermutlich kosteten sie dort alles, was es zu kosten gab: vom Airag
(Kumys) bis zum hochprozentigen Selbstgebrannten. Der Parteisekretär
und sein Gast waren schon recht wacklig auf den Beinen, Tsermaas Vater
hingegen, der sich beim Trinken zurückgehalten hatte, weil er ja den
Wagen fahren mußte, wirkte nur ein bisschen angeheitert. Er war ein
guter Fahrer, das sagten die Leute auch jetzt noch, wenn sie sich an
ihn erinnerten. Selbst wenn er nicht mehr geradeaus gehen konnte und
seine Zunge sich beim Reden verhedderte - sobald er hinter seinem
Lenkrad saß, zeigte er, was für ein Kerl er war; er stimmte sein
Lieblingslied an, gab Gas, und ab ging's.
"Der kühne braune Habicht hat starke
Schwingen.
Oh sorglose Jugend!"
Genauso
wird es auch an jenem Tag gewesen sein. Wer dann aber als erster die
Schlangen erblickte, und wer, nachdem sie sie erblickt hatten, auf
diese Wahnsinnsidee kam, das weiß der Teufel. Dafür interessierten sich
die Leute auch nicht sonderlich. Den einzigen Anhaltspunkt hatte
anscheinend der besagte Gast aus dem Aimag (der Bezirkshauptstadt)
gegeben. Er hatte (nach dieser Geschichte) lange im Krankenhaus
gelegen. (Und es hieß, er sei verrückt geworden.) Eines Morgens aber
soll er noch einmal zu sich gekommen sein und klar und deutlich gesagt
haben: "Es kommt alles davon, dass wir eine Schlangenversammlung
verbrannt haben." Dann starb er.
Vom Parteisekretär (, dem Chef
von Tsermaas Vater,) munkelten die Leute, er habe damals, als er abends
nach Hause kam, seiner Frau erzählt, daß sie einen Schlangenhaufen
angezündet und dann auch noch Benzin nachgegossen hätten. "Es war
ungeheuer faszinierend", soll er gesagt haben. "Schlangen aus Feuer,
und sie schossen wie wild nach allen Seiten. Das reinste Feuerwerk. Und
dann konntest du mal wieder sehen, wie heimtückisch diese Biester sind.
Zuerst haben sie sich auf der Erde gewälzt und versucht, das Feuer zu
ersticken. Aber dann kam so eine große, dicke, lichterloh brennend,
direkt auf unseren Wagen zu gekrochen. Wir nichts wie rein und weg."
(So soll es der Parteisekretär seiner Frau erzählt haben.)
Einen
Monat später stürzte Tsermaas Vater mit seinem Auto einen Abhang
hinunter in eine mehr als sieben Ald (Klafter) tiefe Schlucht.
Polizisten kamen und jemand vom Gericht, und sie untersuchten alles an
Ort und Stelle. "Es ist uns ein Rätsel", sagten sie. "Der Verunglückte
hatte keinen Tropfen Alkohol getrunken. Wir können uns nicht erklären,
weshalb er dennoch vom Weg abgewichen und im Gelände herumgefahren
ist." Dann bekam der Parteisekretär am Ellbogen eine schmerzhafte
Geschwulst. Die ließ er sich im Aimag herausschneiden, doch er
überlebte den Eingriff nicht. In seinen letzten Minuten verkrampfte
sich seine Zunge so, daß er kein Wort mehr herausbrachte. Als die Leute
vom Tod des Parteisekretärs erfuhren, und vor allem von den näheren
Umständen seines Todes, verbreitete sich das Gerücht von der
verbrannten Schlangenversammlung und erfaßte, einer drohenden schwarzen
Wolke gleich, ein Ail nach dem anderen.
Der Parteisekretär war
noch gar nicht so lange tot, da soll dieser Mann aus dem Aimag(der
Bezirksstadt) plötzlich durchgedreht sein. Eines Abends schrie er seine
Frau an: "Bild dir bloß nicht ein, dass ich mit dir schlafe! Du willst
mich wohl verbrennen?" Und er lief, nur im Schlafanzug und brüllend vor
Lachen, auf die Straße. Sein wirrer Geist renkte sich nicht wieder ein,
bis zu jenem Morgen, als er noch einmal einen lichten Moment hatte und
bei vollem Bewusstsein jenen einen Satz sagte, (nämlich daß alles daher
käme, daß sie die Schlangenversammlung verbrannt hätten,) Danach soll
er nur noch einmal tief Luft geholt haben, als ob er seufzte, dann war
er tot. Seitdem hörten die Gerüchte nicht mehr auf.
Eine Zeit lang
herrschte Trockenheit, so schlimm, wie es noch keiner erlebt hatte, und
diese Trockenheit dauerte mehrere Jahre an. Ehemals wasserreiche
Brunnen waren nur noch halbvoll, andere, die ohnehin wenig Wasser
geführt hatten, trockneten ganz aus. Die Menschen flüchteten. Sie
folgten ihrem bisschen Vieh auf der Suche nach neuen Weiden. Ob nun
diese Dürre gekommen war, weil sie kommen mußte, oder ob sie in
Wirklichkeit auf die Geschichte mit den Schlangen zurückzuführen war,
das wußte niemand so genau. Doch die Leute meinten, sicher ist sicher,
und organisierten heimlich ein Opferfest für den (Gott des Berges)
Nomgon owoo, (unter dessen Schutz die Gegend stand, und den sie nun um
seine Gunst bitten wollten.) Es gab eine regelrechte Verschwörung.
Allerdings wurde dann nichts Gescheites daraus, weil der
(Dorf-)Polizist angeprescht kam, die Leute seines
Zuständigkeitsbereichs gehörig zusammenstauchte und sie veranlasste
auseinanderzugehen. Zwei Lamas, (Mönche), die (extra) aus der
(Haupt-)Stadt gekommen waren, nahm er fest, ließ den Wagen des
Sum-(Kreis-)Vorsitzenden kommen, und beförderte die beiden auf
schnellstem Wege in den Aimag (die Bezirkshauptstadt). Danach fand sich
keiner mehr, der den Mut hatte, noch einmal etwas derart Ungehöriges zu
initiieren.
Aus: D. Enkhbold, Paanan. Übersetzung aus dem Mongolischen von Renate
Bauwe (Bearbeitung für die Lesung am 1.10.2000)
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