mongolian writer Sengijn Erdene /Сэнгийн Эрдэнэ Монголын уран зохиолч /


Der mongolische Schriftsteller Sengijn Erdene (Монголын уран зохиолч Сэнгийн Эрдэнэ)

Sengijn Erdene (Сэнгийн Эрдэнэ) 1929-2000


Сэнгийн Эрдэнэ, Анчны гэргий, Сэрүүн дуганы мөхөл Renate Bauwe
Сэнгийн Эрдэнэ, Анчны гэргий, Сэрүүн дуганы мөхөл Renate Bauwe, Sengijn Erdene
   

Erdene, Sengijn
"Die Frau des Jägers, Das Ende des Serüün-Tempels"
Zwei mongolische Erzählungen

Übersetzt und herausgegeben
von Renate Bauwe

Verlag: Books on Demand
ISBN:  978-3-8370-3844-6
132 Seiten
1. Aufl. 09.04.2009


Mongolische Literatur

Leben und Werk des mongolischen Schriftstellers Sengijn Erdene


Sengijn Erdene (Сэнгийн Эрдэнэ) 1929-2000 ist einer der bedeutendsten mongolischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1929 in der Familie eines burjatischen Viehzüchters geboren, der wenige Jahre zuvor aus der Burjatischen ASSR in die Mongolei emigriert war. Dort erlebte Erdene als Kind die Schrecken der stalinistischen „Säuberung“, der auch sein Vater zum Opfer fiel.
Er studierte Medizin und arbeitete mehrere Jahre als Psychiater, bevor er sich ganz dem literarischen Schaffen widmete. Seine frühen Gedichte waren wenig spektakulär. Doch als er – noch ganz unter dem Eindruck seiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen – anfing zu beschreiben, wie die Menschen seiner Zeit auf Probleme des mongolischen Alltags reagierten, hatte er sein Metier gefunden. In einer Zeit ideologischer Zwänge, die wenig Raum für Kreativität zuließen, begeisterte er die mongolischen Leser mit sensiblen, lebensnahen Geschichten, und bald umgab ihn der Nimbus eines „Meisters der psychologischen Novelle“.
Die humanistische Konzeption Erdenes beruht auf dem Ideal des kreativen, nach Selbstverwirklichung strebenden Menschen, der die bestehende Gesellschaft trotz ihrer Widersprüche bejaht. Viele seiner Erzählungen und Romane haben einen autobiografischen Hintergrund. Immer wieder führt er den Leser in die malerische Landschaft seines Heimattals im Chentij-Gebirge, wo er die ersten glücklichen Jahre seiner Kindheit verbrachte, wo er als Sechsjähriger die – allerdings bald wieder abgebrochene – Laufbahn eines Lamas einschlug, wo er mit seinen Freunden in dem verfallenden Serüün-Tempel spielte und wo er Abschied nehmen musste von seinem Vater Senge, der als „Konterrevolutionär“ hingerichtet wurde. Diese traumatisch überschatteten Bilder seiner Kindheit verfolgten ihn sein Leben lang.
Das Thema der Massenexekutionen von Lamas und Angehörigen der burjatischen Minderheit war in der Mongolischen Volksrepublik lange Zeit tabu. Ebenso wenig wurde geduldet, gesellschaftliche Widersprüche und Missstände zu literarisieren. Nur wenige Mongolen, integre Persönlichkeiten wie Erdene, wagten es, sich diesen heiklen Themen vorsichtig zu nähern („Das Ende des Serüün-Tempels“, Erzählung, 1980; „Der Lebenskreis“, Roman, 1983). Erst unter dem Einfluss der sowjetische Glasnost-Bewegung kommt es in der MVR in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu einer breiten Auseinandersetzung mit den fünf Jahrzehnte lang totgeschwiegenen Verbrechen. Erdene schreibt seinen Roman „Wir treffen uns wieder in unserem nächsten Leben“ (1993), dem er den Untertitel “Eine Tragödie“ gibt. In dem Essay „Schwarze Schwäne“ (1997) schreibt er wohl zum ersten Mal ohne künstlerische Verfremdung und voller Trauer von den Ereignissen um das Jahr 1937 und die Ermordung seines Vaters – ein ergreifender Bericht über das Schicksal einer burjatischen Familie und eine seiner letzten Veröffentlichungen vor seinem Tode 2000.  

Erdenes Erzählungen, Romane und Essays wurden in viele Sprachen übersetzt und zum Teil verfilmt. In deutscher Sprache erschien der Band „Sonnenkraniche“ (Erzählungen; Verlag Volk und Welt, 1979). Diesem wurde die Erzählung „Die Frau des Jägers“ entnommen, die jetzt in einer überarbeiteten Fassung vorgestellt wird. „Das Ende des Serüün-Tempels“ erschien 2009 zum ersten Mal in deutscher Sprache.


„Die Frau des Jägers“
(Анчны гэргий, 1971):
Scharaa will sich nicht länger mit dem einsamen Leben abfinden, zu dem der Beruf ihres Mannes, eines tüchtigen und geachteten Jägers, sie zwingt. Ihr Schwiegervater, hat ihr von seiner großen Liebe erzählt, von Dshenemee, einem Mädchen aus dem Stamm der Rentiernomaden, einer Fremden, die von den Mongolen der Steppe gemieden wird. Um den Mann, den sie liebt, nicht unglücklich zu machen, verlässt sie ihn und gibt sich einem Schamanen hin. Nur dadurch, glaubt sie, könne sie die rachsüchtigen Geister ihrer Heimat versöhnen.
Scharaa Als moderne junge Frau will lebt bereits in einer anderen Zeit. Um Togtoch ihre Liebe zu beweisen und ihrem Leben einen Sinn zu geben, will sie ihm und sich ermöglichen, in einer Gemeinschaft mit anderen Jägerfamilien zu leben. Von dieser Idee beflügelt, reitet sie ins Dorf. Doch enttäuscht muss sie feststellen, dass sie gegenüber der in ihrer Genossenschaft herrschende Engstirnigkeit und Lethargie machtlos ist. Bleiben ihr wirklich nur die Liebe ihres Mannes und die Sehnsucht nach einem Kind?

„Das Ende des Serüün-Tempels“ (Сэрүүн дуганы мөхөл, 1980):
Es ist das Jahr 1937, der Höhepunkt einer staatlich veranlassten antireligiösen Kampagne nach dem Muster der stalinistischen "Säuberung" in der Sowjetunion. Klöster werden zerstört, Zehntausende lamaistischer Mönche umgebracht. Auch der kleine Serüün-Tempel in einem Tal des Chentij-Gebirges verwaist. Die traumatisierten Menschen aus der Umgebung, die vor wenigen Jahren voller Enthusiasmus mitgeholfen hatten, ihn zu bauen, sträuben sich jetzt, aus den nutzlos gewordenen Balken eine Schule für ihre Kinder zu errichten. Der junge Prior des Tempels wurde verhaftet, und das Mädchen Dedshidmaa folgt ihm in den Tod, hoffend, ihre heimlichen Geliebten im mythologischen Lande Schambala wiederzufinden ...
Anhand authentischer Schicksale gewährt Erdene Einblick in eine Zeit krasser gesellschaftlicher Widersprüche. Doch beruht die Bedeutung dieser Erzählung nicht allein auf ihrem Realismusgehalt. In der Zeit ihrer Entstehung war das Thema der Massenexekutionen von Lamas und Angehörigen der burjatischen Minderheit in der Mongolischen Volksrepublik noch absolut tabu. „Das Ende des Serüün-Tempels“ war einer der ersten Versuche, den Bann zu brechen und das heikle Thema zu berühren. Unter dem Druck seiner persönlichen Erinnerungen wagte er es, gegen das Vergessen zu schreiben, auch wenn er sich vorerst noch auf Andeutungen beschränken musste. 

(Renate Bauwe)

Back