Mongolische Literatur

Sie schlafen selbst im Winter bei Schnee und Kälte auf einfachen Matten oder Fellen, die sie auf dem blanken Erdboden ausbreiten.(3)
Alle Versuche der mongolischen Regierung, die Zaaten sesshaft zu machen, sind bisher fehlgeschlagen. Sie haben die festen Wohnungen, die man ihnen zur Verfügung gestellt hat, nicht angenommen und ziehen weiter in kleinen Gruppen als Nomaden durch die schwer zugänglichen Gebiete der Taiga. Für die Behörden ist es schwer, sie zu erreichen. Und entsprechend unzureichend ist die medizinische Betreuung. Es ist also verständlich, wenn sich diese Menschen in ihrer Abgeschiedenheit mit ihren Sorgen und Nöten zuerst einmal an Wahrsager, Gesundbeter und Knochenrichter – und an Schamanen wenden.
Wie stark die schamanistische Tradition bei den Zaaten und anderen, mehr oder weniger isoliert lebenden Bevölkerungsgruppen noch ausgeprägt ist, untersucht gegenwärtig u. a. der mongolische Folklorist und Literaturwissenschaftler S. Dulam. Die Feldforschung über den Schamanismus ist nicht leicht. Die Schamanen selbst sind wenig daran interessiert, ihre Geheimnisse preiszugeben. Durch die schlimmen Erfahrungen, die sie gemacht haben, sind sie vorsichtig und verschlossen, vor allem Städtern gegenüber – von Ausländern ganz zu schweigen. Die Hilfsgeister mögen ihren Geruch nicht, sagen sie. Sogar Dulam als Mongole musste lange um das Vertrauen einer Darchad-Schamanin kämpfen, bis sie sich ihm als Informantin zur Verfügung stellte, und zum Schamanisieren hat er sie regelrecht überlistet. Er konnte ihr glaubhaft erklären, dass er die lange und beschwerliche Reise von Ulaanbaatar, mehr als 1000 km, nur gemacht hat, um seinen kranken Rücken von ihr behandeln zu lassen.

Charakter und Wurzeln des Schamanismus
Der heute weltweit gebrauchte Begriff "Schamanismus" geht auf das Wort saman zurück, das tungusisch-mandschurischen Ursprungs ist (Tungusen: Ewenken, Ewenen, Solonen, Nanai u.a.). Nach Meinung Dalais(4) bezeichnet saman im Mandschurischen einen Weisen oder einen Wahrsager. Andere Quellen übersetzen dieses Wort mit sich "anheizen", "verbrennen", "mit Hitze oder Feuer arbeiten".(5) Nach wieder anderen Quellen bezeichnet es einen "erregten, bewegten, erhobenen" Menschen.(6) In den chinesischen Quellen erscheint diese Bezeichnung etwa seit dem 12. Jh. Auch im Wortregister der „Geschichte der Jin-Dynastie“ (1115-1234) wird saman erläutert und gesagt, dass die Mandschuren so die Schamaninnen bezeichnen. Der Schamanismus ist eine Religion oder – wenn man diesen Terminus nicht verwenden möchte – ein Glaubenssystem, das bei den Nomadenvölkern Zentralasiens und Ostsibiriens am stärksten ausgeprägt war, in ähnlicher Form aber auch bei anderen Völkern, auf anderen Kontinenten vorhanden war, die unter urgesellschaftlichen Bedingungen lebten: Formen des Schamanismus kennen wir z.B. bei vielen afrikanischen, australischen und südostasiatischen Völkern und bei vielen Indianerstämmen.
Es handelt sich also um eine archaische „Religion“ mit polytheistischem Charakter, die viele Elemente aus anderen frühen Glaubensformen übernommen hat, z.B. aus dem Animismus, der davon ausgeht, dass alle Erscheinungen der Welt belebt sind. Auf der Grundlage des Animismus ist vermutlich der mongolische Erd-, Himmels- und


(3) H. Michel: Eine Reise zu den Rentiernomaden der Mongolei. Beiträge zur Jagd- und Wildforschung, Bd. 20 (1995), 319-323.
(4) vgl. Č. Dalaj: Mongolyn böögijn mörgölijn tovč tüüch. Studia ethnografica I, fasc. 5, Ulaanbaatar 1955.
(5) vgl. Schamanengeschichten aus Sibirien. Aus dem Russischen übersetzt und eingeleitet von Adolf Friedrich und Georg Budruss. München, Barth 1955, Berlin 1987, Cover-Text.
(6) S. A. Tokarew: Die Religion in der Geschichte der Völker. Dietz Verlag Berlin 1978, 217.

 Schamanismus bei den Mongolen 3 Schamanismus bei den Mongolen

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