war. Er scheute nicht einmal davor zurück, Temüjins Brüder zu verprügeln, zu verleumden und auf andere Weise zu demütigen. Durch die Intrigen dieses Schamanen hätte Čingis Chaan fast seinen Bruder Chasar umgebracht, und nur durch das Eingreifen der resoluten Mutter wird dieser gerettet. Temüjins Frau Börte macht ihrem Gemahl bittere Vorwürfe, dass er die Machenschaften des Schamanen und seiner Brüder so ruhig mit ansieht, und die Geschichte endet damit, dass Chöchöči überlistet und ermordet wird und seine Seele mitsamt dem Körper durch das Rauchloch die Jurte verlässt. (§244-246)3. Eine dritte Episode, die die Macht der Schamanen in der mittelalterlichen Mongolei beleuchtet, wird im letzten Kapitel der "Geheimen Geschichte" erzählt. Nach dem Tode Čingis Chaans ist sein Sohn Ögöödej Chaan geworden. Er unternimmt 1231 einen siegreichen Feldzug gegen China (Kitad), doch auf dem Rückweg erkrankt er schwer. Die Schamanen versammeln sich und stellen fest, dass der Chaan von den Erd- und Wassergeistern Chinas gequält wird, aus Zorn darüber, dass er das Land verwüstet hat. Als die Schamanen den Geistern als Sühneopfer gewaltige Schätze, Siedlungen und Herden anbieten, reagieren diese nicht. Als sie aber fragen, ob sie mit einem Familienangehörigen zufrieden wären, geht es dem Chaan sofort besser. Der einzige Verwandte, der in der Nähe ist, ist Toloj (Tuluj), Čingis Chaans jüngster Sohn. Er erklärt sich sofort bereit, sich für seinen älteren Bruder zu opfern und trinkt das von den Schamanen zubereitete "Zauberwasser"(§ 272) Dies ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass bei den Opferritualen der mongolischen Schamanen auch Menschenopfer dargebracht wurden.
Über grausame Menschenopfer, die von Schamanen veranlasst wurden, berichtet auch W. Rubruck, der sich eine Zeitlang am Hofe Mönch (Möngke) Chaans in Karakorum aufhielt.(25)Als sich im 16. Jh. die ersten mongolischen Herrscher zum Buddhismus bekannten, wurden die Menschenopfer verboten, doch ganz unterbunden wurden sie bis zum Beginn des 20. Jh. nicht.Zur Zeit der Yuan-Dynastie, als die Mongolen über China herrschten und ihre Residenzdorthin verlegt hatten, kam es zu ersten, relativ intensiven Berührungen mit dem tibetischen Lamaismus. Die mongolischen Chaane riefen berühmte tibetische Geistliche an ihren Hof (z.B. den Lama 'P'ags pa(26)) und machten sie zu ihren geistlichen Beratern. Unabhängig davon wurden weiterhin die alten Opferfeste nach schamanistischer Tradition gefeiert und Hunderte von Schamanen und Schamaninnen dazu eingeladen. Bei der Bevölkerung des mongolische Stammlandes fanden die Missionierungsversuche der tibetischen Lamas wenig Resonanz, bis sich 200 Jahre nach der Vertreibung der Mongolen aus China (1368) die ersten mongolischen Herrscher zum Buddhismus bekannten (Altan Chan 1573). Bald entstanden überall im Lande Klöster, und es wurden Gesetze erlassen, die den Schamanismus immer mehr einengten. Diese Gesetze hatten zu ihrer Zeit durchaus progressiven Charakter. Vor allem wurden die Menschenopfer untersagt, die vor allem in Zusammenhang mit Beerdigungen hochrangiger Persönlichkeiten außerordentlich große Ausmaße angenommen hatten.Auch der Besitz von ongon – das waren, wie erwähnt, Figuren aus Holz, Filz oder anderen Materialien, die die Ahnengeister verkörperten – wurde verboten, und es
(25) Wilhelm von Rubruck: Reisen zum Großkhan der Mongolen. Thienemann, Edition Erdmann, Stuttgart 1984.
(26) 'P'ags pa Lama (1238-1280)
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