Mongolische Literatur

werden.(24) Bei den Darchad gibt es bis heute noch einige sehr angesehene und einflussreiche Schamaninnen.

Eine vor allem von mongolischen Wissenschaftlern gern vertretene These besagt, dass das männliche Schamanentum mit dem Übergang zur patriarchalischen Gesellschaft aufkam. Gleichzeitig damit gewann der Himmelskult an Bedeutung, und die "Mutter Erde" wurde durch den "Vater Himmel" in den Hintergrund gedrängt. Die männlichen Schamanen heißen bei den Mongolen, wie erwähnt, böge. Die Ethymologie dieses Wortes ist nicht völlig klar. Böge steht im Altmongolischen ebenso für "Schamane" wie auch für "Ringer", und es ist demzufolge in alten Texten nicht einfach zu unterscheiden, ob es sich bei der betreffenden Person um einen Ringer oder einen Schamanen handelt.
Der russische Mongolist Kozin und der tschechische Mongolist Poucha sehen eine Verwandtschaft mit dem türkischen bügü (mergen, dsajran = Hauptschamane) und vermuten eine Entlehnung aus dem Türkischen. Dalaj hingegen meint, es könnte sich bei dem türkischen bügü ebenso um eine Entlehnung aus dem Mongolischen handeln. Sowohl böge als auch bügü könnten allerdings auch auf das chinesische bu oder pu ("weissagen") zurückgehen.

Aufschwung und Rückgang des Schamanismus bei den Mongolen
Der Einfluss der mongolischen Schamanen erstreckte sich ursprünglich nur auf die jeweilige Familie oder den Klan. Das änderte sich im 13. Jh., als die Mongolen unter Tschingis Chaan ihren ersten Staat gründeten und dieser Staat sich in kurzer Zeit zu einem Weltreich entwickelte. Gleichzeitig entwickelte sich der Schamanismus zur Staatsreligion. Die mongolischen Herrscher umgaben sich mit einflussreichen Schamanen und machten sie zu ihren engsten Beratern in allen politischen und familiären Angelegenheiten. Dadurch erlangten die Schamanen eine außerordentliche Macht und wurden nicht selten zu den Drahtziehern des politischen Geschehens. Was in dieser Hinsicht durch die "Geheimen Geschichte der Mongolen“ kurz und knapp berichtet wird, klingt fast wie das Konzept zu einem Kriminalroman:

1. Unter anderem wird ein Schamane mit Namen Chorči erwähnt. Er kam aus der Umgebung Jamuchas, eines Schwurbruders Temüjins, des späteren Čingis Chaan. Jamucha strebte ebenso wie Temüjin nach der Herrschaft über die vereinten mongolischen Stämme und wurde dadurch zu einem Feind seines Jugendfreundes. Sein Schamane lief zu Temüjin über und half diesem, seine Herrschaftspläne zu verwirklichen. Dabei stützte er sich auf eine Vision, die ihm, wie er behauptet, sein Schutzgott eingegeben hatte, und wonach Temüjin Chaan, das heißt Herrscher über alle Mongolen, werden sollte. Für den Fall, dass es so einträfe, ließ er sich eine hohe Belohnung versprechen. Temüjin versprach darauf, ihn zum Herrn über zehntausend Familien zu machen. Doch das genügte dem Schamanen nicht. Er forderte außerdem das Recht, von den Frauen der unterworfenen Völker dreißig der schönsten Mädchen auswählen und zur Frau nehmen zu dürfen. Außerdem sollte Temüjin auf alles hören, was er sagte – und Temüjin war einverstanden. (§121)

2. Ein anderer Schamane aus der Umgebung Temüjins war sein Stiefbruder Chöchöči (Tev tenger). Aus der "Geheimen Geschichte" geht hervor, dass sein Einfluss, nicht zuletzt durch die familiären Verbindungen, außerordentlich groß

(24) vgl. ebenda.

 Schamanismus bei den Mongolen 8 Schamanismus bei den Mongolen

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