Mongolische Literatur

interessant, dass der persische Historiker Raschid ad-din (13.Jh.) die damaligen (mongolischen) Schamanen ebenfalls kam nennt und erklärt, dass der kam gleichzeitig der Stammesälteste gewesen sei. Bis heute gibt es in Sibirien Ethnien, die ihre Schamanen kam nennen. Gan und kam hatten vermutlich einmal die gleiche Bedeutung wie Qan ("Khan" bzw. nach der kyrillischen Schreibweise Chan) im turkomongolischen Sprachgebrauch, nämlich Herrscher.
Aus der Tatsache, dass für den Stammesführer und den Schamanen ein und dasselbe Wort gebraucht wird, lässt sich ableiten, dass einmal beide Funktionen in einer Person vereint waren. Der Stammesführer war gleichzeitig der Schamane, der "weise Mann", der von den göttlichen Ahnen für dieses Amt bestimmt war.
Das mongolische Wort itügen / etügen / udgan für Schamanin wird unterschiedlich interpretiert. Perlee und Dalaj führen es auf den altmongolischen Verbstamm etü- für “entstehen" zurück und leiten davon für das Wort etügen die Bedeutung "Ursprung" ab. Andere Wissenschaftler sehen eine Verwandtschaft mit dem chalchmongolischen ötgön ("dicht", "fest") und beziehen das Wort auf die Konsistenz der Erde. Interessanterweise ist das Wort etügen oder etügen eke (Mutter Etügen) nämlich gleichzeitig der Name der deifizierten Erde, der Mutter-Göttin Erde, die bis heute in Schamanengesängen angerufen wird.
In diesem Sinne gebraucht auch Marco Polo diese Bezeichnung, wenn auch entstellt als Nacygai. Er schreibt, dass die Mongolen so ihren Gott bezeichnen, der ein Erdgott sei und höchste Verehrung genieße. Er behüte ihre Kinder, ihr Vieh und ihre Ernten.(21) Auf jeden Fall wird aus dem mongolischen Wort für Schamanin deutlich, dass diese einmal mit dem Erdkult in Verbindung gebracht wurde. Gleichzeitig darf man annehmen, dass der Erdkult für die frühen Sammler, Jäger und Hirten eine größere Bedeutung hatte als der Himmelskult.
Vermutlich wurden die mit dem Erdkult verbundenen Riten ursprünglich von Frauen ausgeführt. Das bedeutet, dass die Schamaninnen in einer frühen Phase des Schamanismus eine größere Rolle spielten als ihre männlichen „Kollegen“. Mongolische Wissenschaftler leiten daraus ab, dass der Schamanismus unter matriarchalischen Bedingungen entstanden ist und dass die ersten Schamanen der zentralasiatischen Nomadenvölker überhaupt Frauen waren. Diese These lässt sich durch mongolische und sibirische Mythen untermauern, in denen erzählt wird, dass der erste Mensch eine Frau bzw. eine Schamanin war.
In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass die Mongolen bestimmte heilige Bäume, die mit dem schamanistischen Kult in Verbindung stehen, als Schamaninnenbäume bezeichnen und nicht als Schamanenbäume. Die Vorrangstellung der Schamanin hat sich in manchen Gegenden der Mongolei und auch bei einigen sibirischen Völkerschaften nahezu bis in die Gegenwart erhalten. In der Inneren Mongolei soll es bis ins 20. Jh. hinein mehr Schamaninnen gegeben haben als Schamanen, und diese hatten angeblich auch mehr Rechte als letztere.(22) Das zeigte sich vor allem dann, wenn in einer Familie zwei oder mehr Schamanen unterschiedlichen Geschlechts lebten.
In einer in Japan erschienenen "Geschichte der Weltreligionen" heißt es, die jakutischen Schamanen zögen, wenn sie schamanisieren, Frauenkleidung an und ließen sich die Haare wie eine Frau flechten.(23) Von manchen sibirischen Völkerschaften wird berichtet, dass sowohl Männer als auch Frauen, ehe sie Schamanen werden, typische Frauenarbeiten, z.B. nähen, lernen müssen und darin von einer alten Schamanin geprüft

(21) vgl. Marco Polo. Il millione. Die Wunder der Welt. Zürich 1983, 99f.
(22) vgl. Č. Dalaj: a.a.O. 17
(23) vgl. ebenda.

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