findet. Als Ausnahme kann man wohl eine 1959 erschienene Abhandlung mit dem Titeln "Kurze Geschichte des mongolischen Schamanismus" von Č. Dalaj(15) betrachten, die jahrzehntelang die einzige ihrer Art blieb. Es handelt sich hierbei um eine für die damalige Zeit bemerkenswert sachliche und informative Abhandlung. Unabhängig davon – und ganz dem Zeitgeist entsprechend – sah sich der Autor veranlasst, im Vorwort zu erklären, es ginge ihm um einen Beitrag zur atheistischen Aufklärung. Dabei beruft er sich auf eine Forderung des damaligen Partei- und Regierungsoberhauptes J. Cedenbal, durch wissenschaftliche Propaganda dem noch immer relativ stark verbreiteten religiösen Aberglauben konsequent entgegenzuwirken. Zum Schluss seiner ansonsten keineswegs schamanismusfeindlichen Abhandlung beteuert der Autor noch einmal, dass er die Schamanen für Betrüger und ihre Weltanschauung für verlogen halte.(16) Mit solchen Bekenntnissen wollte er sich vermutlich ein ideologisches Alibi, verschaffen – einen "Persilschein", wie es bei uns heutzutage heißt – damit die Arbeit überhaupt Aussicht hatte, gedruckt zu werden.Erfreulicherweise hat sich die Situation seit den 80er Jahren unter dem Einfluss der sowjetischen Glasnost- und Perstroika-Bewegung spürbar geändert, und zwar sowohl für die wenigen noch als solche zu bezeichnenden Schamanen und ihre Anhänger, als auch für die Wissenschaftler, die darüber schreiben. Die Schamanen müssen keine Angst mehr vor Verfolgung haben, und die mongolischen Ethnologen und Folkloristen können sich endlich vorurteilsfrei mit dem Schamanismus beschäftigen. Das Interesse an diesem Gegenstand ist heute größer als je zuvor. Man hat erkannt, dass es in wenigen Jahren möglicherweise schon zu spät sein kann. Zur Zeit arbeitet in Ulaanbaatar ein mehrköpfiges Team mongolischer Wissenschaftler an der Untersuchung der schamanistischen Tradition und ihrer Symbolik. Zu ihnen gehören namhafte Wissenschaftler wie O. Pürev, C. Šagdarsüren, G. Gantogtoch und S. Dulam. Eine erste größere Publikation von S. Dulam, zum Schamanismus der Darchad(17), ist bereits erschienen. 1995 veröffentlichte der gleiche Autor einige Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Untersuchung zum Schamanentum bei den Zaatan.(18) Auch in der Inneren Mongolei sind in den letzten Jahren in mongolischer Sprache einige interessante Publikationen zum Schamanismus erschienen, von denen "Der Opferkult des mongolischen Schamanismus" von L. Qurčabaγadur und Č. Üjüm-e(19) besondere Erwähnung verdient.
Böge und ItügenNicht alle ethnischen Gruppen, bei denen der Schamanismus verbreitet war oder es noch ist, kennen die Bezeichnung saman; das gilt auch für die Mongolen. Bei ihnen heißt der Schamane böge (bzw. nach der kyrillischen Schreibweise böö) und die Schamanin itügen / etügen (bzw. udgan). Auch die Mandschuren nannten die Schamanin idakon.(20) Die Jakuten nennen sie ojuun, die Jukagiren alma, die Nenzen tadibei und die südsibirischen Turkvölker kam. Aus chinesischen Quellen geht hervor, dass die Kirgisen ihre Schamanen einst gan' nannten. In diesem Zusammenhang ist
(15) Č. Dalaj: a.a.O
(16) vgl. ebenda, III, 44.
(17) S. Dulam: Darchad böögijn ulamžlal. MUIS-ijn chevlel, Ulaanbaatar 1992.
(18) S. Dulam: Ujgar-caatan ardyn böö mörgöl, ugsaatny züjn talaarch ažiglalt. In: Erdem šinžilgeenij bič ig,
Mongol ulsyn ündesnij ich surguulj, Mongol sudlalyn chüreelen, Ulaanbaatar 1995, 106-114.
(19) L. Qurčabaadur, Č. Üjüm-e: Mongol-un böge mörgöl-ün tayil-a-yin soyol. Öbör mongol-un soyol-un
keblel-ün qoriy-a, 1991.
(20) vgl. Č. Dalaj: a.a.O. 16.
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