Otgonbayar Ershuu
Eröffnung
Galerie Zimmermann, 28.3.2014
Die
Mongolei ist in unserer Wahrnehmung der Welt kaum vorhanden, was
beinahe unbegreiflich ist. Dabei umfasst ihr Staatsgebiet eine Fläche,
die etwa viereinhalb Mal so groß ist wie die Bundesrepublik mit jedoch
insgesamt nicht mehr als 3.18 Millionen Einwohnern. Etwa 40 % davon
leben in der Hauptstadt Ulan Bator (Ulaanbaatar) – der Rest ist
Schweigen. Diese himmlische Abgeschiedenheit vermag man sich hier gar
nicht vorzustellen. Vielleicht gerade weil die Mongolei in der
Weltpolitik keine prominente Rolle spielt, sollte das Interesse dafür
umso größer sein.
Aber
auch historisch hat die Mongolei viel zu bieten: unter Dschingis Khan
war sie das flächenmäßig größte zusammenhängende Weltreich der
Geschichte.
In
der Neuzeit ab ca. 1600 war die Mongolei ein Zentrum buddhistischer
Kunst in Anlehnung an indisch-tibetische Kunsttraditionen.
Besonderheiten dieser Kunst, und damit kommen wir gleich zu OtGO, wie
wir den Künstler nennen dürfen, Besonderheiten dieser Kunst also sind
die Thangka, Bildrollen zur Zierde von Klöstern, die, im Gegensatz zur
übrigen buddhistischen Kunst, die Darstellung von Tieren mit einbindet.
OtGO
ist der wichtigste zeitgenössische Maler der Mongolei heute. Seine
Arbeiten bezaubern durch eine Leichtigkeit und Frische, die einzigartig
sind. Menschen und Tiere begegnen uns da, die im kleinformatigen Reigen
die oft großen Flächen seiner Malerei füllen. Es ist immer ein
schwieriges Unterfangen, die Kunst eines fremden Kulturkreises zu
beurteilen und zu würdigen, insbesondere, wenn uns die Traditionen
fremd sind. Also sehen wir zwangsläufig die Kunst mit unseren Augen,
die mit unserer eigenen Kultur befrachtet sind, übersehen Dinge oder
nehmen sie anders wahr. Auf einem Bild der Heiligen Familie würde
jemand, der nichts vom christlichen Kulturkreis weiß, nur eine Familie
wahrnehmen. Mit dieser Beschränkung müssen wir mehr oder weniger leben.
Die
Malfläche weist zunächst einmal, grob gesagt, zwei Schichten auf. Ich
sage „grob gesagt“, weil zumindest die Malschicht aus vielen Schichten
oder Folien besteht, dazu gesellt sich die Figuration, die jeweils
durch einen klaren Kontur zur Malfläche hin abgegrenzt wird. Oft
besteht die Farbigkeit aus nur zwei oder drei Farben, allerdings in
vielen Schattierungen. Das erweckt leicht den (falschen) Eindruck einer
Monochromie, die allerdings die Bildfläche beruhigt, die durch Spuren
laufender Farbe dynamisiert wird. Diese Laufspuren erzeugen einen
starken visuellen Sog, der in direkten Bezug zur Figuration gesetzt
wird. Die Menschen, Frauen und Männer, sind in paradiesischer Nacktheit
wiedergegeben. Damit sind sie der Zeit entrückt, es wird kein Bezug zu
einer bestimmten Epoche gesucht. Die Tierwelt ist vielfältig – wir
sehen vorherrschend Pferde, da tummeln sich aber auch Enten, Reiher,
Fische Wölfe, Pelikane, Hirsche und so weiter. Divergierende Richtungen
im Bild erzeugen eine Dynamik und Lebendigkeit, der man sich kaum zu
entziehen vermag. Da sind einmal die Laufspuren der Farbe, die oft
tänzerischen Bewegungen der Menschen und der Tiere. Mensch und Tier
sind dabei immer in Beziehung zueinander gesetzt, reagieren aufeinander
und so entsteht ein Reigen, einem Strudel gleich, der den Betrachter
mitzieht. Die Farben sind in kräftigen, hellen Tönen gehalten, meist in
Übergängen zwischen zwei oder drei Farben, Rot/Gelb, Orange/Gelb,
Grün/Blau und Grün/Rosé etwa. Der Ausstellungstitel, „Rot und Blau“,
rekurriert auf diesen Fakt.
In
den etwas älteren Arbeiten treten zur Figuration Tier/Mensch noch
Pflanzen hinzu, Blumen und Gräser, die einen ornamentalen
Gesamteindruck der Bildflächen noch verstärken.
Ein
beinahe undurchdringliches malerisches Geflecht präsentiert sich da auf
der Leinwand, ein Dickicht aus Figuration und malerischer Fläche, das
zum genaueren Studium stets einlädt. Was es da alles zu entdecken gibt,
kann man kaum mit den Augen fassen, immer neue Szenen führen den Blick
über die Malfläche.
OtGO
hat nach einem Studium für Malerei in langen Jahren des Selbststudiums
die traditionellen Maltechniken und Ikonografien mongolischer
Miniaturmalerei erlernt und dann in einer ganz eigenen,
zeitgenössischen Umsetzung für sich adaptiert. Den meditative Malakt
der Thangkamalerei, bei dem ein Gottesbild in einem Arbeitsschritt
gemalt wird, hat der Künstler folgendermaßen beschrieben:
„Thangkamalerei bedeutet, dass der Geist malt, nicht die Hände, wie
Meditation schenkt sie neue Kraft und Energie.“
Die
Bewegung des Bildes, die aus dem Geist in die malende Hand fließt, ist
am Ende die immerwährende Bewegung des Lebens selbst, aber auch die
Befreiung von einer materiellen Welt auf dem Weg zu einer geistigen
Welt.
Die
Arbeiten dieses mongolischen Künstlers, der übrigens seit 2005 in
Berlin lebt, dürfen mit Fug und Recht zu einer Weltkunst gezählt
werden, die alle Kulturen umfasst. Er hat nicht nur die Kunst seiner
mongolischen Heimat konsequent in die Jetztzeit geführt und ist in der
Welt ein kultureller Botschafter seines Volkes, er steht auch für eine
junge, globale Generation, die regionale Traditionen achtet und
gleichzeitig international agiert. In einer sorgsamen und sehr
gelungenen Art und Weise blendet er westliche und östliche
künstlerische Traditionen ineinander und schafft so eine Kunst, die in
der Globalisierung angekommen ist.
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