Die
Zeichnungen aus dem Comic
von E. Otgonbayar
"Die Geheime Geschichte der Mongolen"
Die Zeichnungen aus dem Comic
von E. Otgonbayar
"Die Geheime Geschichte der Mongolen"
"Монголын нууц товчоо"
Монгол зургийн аргаар
зурсан Э. Отгонбаяр
Tengrismus
war (mong. Хөх Мөнх Тэнгэр) (Тенгризъм, tengrizmus, テングリ,
Тенгрианство,
Таҥара итэҕэлэ, Tengricilik, Тенгріанство, 腾格里, Tengrianismo,
Tengricilik, Tengriism, Tengrism, Tengrianism, Tengrianizm,
Tengricilik,) einst der Glaube aller türkischen und mongolischen Völker
Zentralasiens. Der Glaube baut sich vor allem um den Himmelsgott Tengri
auf und setzt sich aus Animismus, Schamanismus, Ahnenverehrung, einer
speziellen Form des Totemismus und Einflüssen aus dem chinesischen
Universismus zusammen.
Im
Tengrismus besteht der Sinn des Lebens für einen Menschen darin, mit
allem, was unter dem Himmel ist, also mit seiner Umwelt im Einklang zu
leben. Der Mensch steht in der Mitte der Welten und sieht seine
Existenz zwischen dem ewigen blauen Vater-Himmel, der Mutter Erde, die
ihn stützt und ernährt, und einem Herrscher, der als Sohn des Himmels
gilt, geborgen. Mit einer ausgeglichenen Lebensweise hält der Mensch
seine Welt im Gleichgewicht und strahlt seine persönliche Kraft
Windpferd nach außen. Der Kosmos, die Naturgeister und die Ahnen sorgen
dafür, dass es den Menschen an nichts fehlt und beschützen ihn. Wenn
das Gleichgewicht durch eine Katastrophe oder durch den Eingriff böser
Geister außer Kontrolle gerät, wird es durch den Eingriff eines
Schamanen wieder hergestellt[1] [2].
Heute ist die Gestalt des
Himmelsgottes Tengri vorwiegend bei Mongolen (neben dem Lamaismus), und
einigen noch naturverbunden lebenden Turkvölkern wie z. B. Chakassen,
Altaier, Jakuten usw. erhalten geblieben. Aber auch bei Völkern, die
den Tengrismus längst abgelegt haben, werden heute viele Elemente aus
dem alten Glauben immer noch heimlich als Aberglaube weitergeführt.
Begriff
Der Tengrismus, die
alte Religion der Turkvölker und Mongolen, wurde anfangs unter dem
Begriff Schamanismus beschrieben. Inzwischen wird der Begriff
Schamanismus allerdings auch zur Beschreibung von anderen alten Glauben
und Naturreligionen der unterschiedlichsten Kulturkreise rund um den
Erdball verwendet. Daher setzt sich seit einigen Jahrzehnten die
Bezeichnung Tengrismus für die traditionelle Religion der alten Türken
und Mongolen immer mehr durch.
Julie Stewart[3] beschrieb den bei
den Mongolen heute noch vorhandenen Tengrismus aus rein mongolischer
Sicht. Sie fügt ihrem Artikel „Mongolischer Schamanismus“[1] hinzu:
Inzwischen
bezeichnen immer mehr westliche Forscher diesen Glauben als Tengrismus.
Dies ist sehr viel zutreffender, da sich dieser Glaube vor allem um
Tengri aufbaut und da der Tengrismus eigentlich die Schamanen nicht
unbedingt braucht. Die Menschen können selber direkt zu Tengri und zu
den Naturgeistern beten ohne einen Schamanen.
Der Tengrismus
hebt sich auch durch seine Gemeinsamkeiten mit dem chinesischen
Universismus aus dem allgemeinen Schamanismus ab, sodass er sich nicht
nur als Schamanismus beschreiben lässt.
Transkription des Namens
Tengri
Tengri (mong. Тэнгэр)
und Tengrismus werden in zahlreichen Varianten geschrieben bzw.
transkribiert, was an der Vielzahl Quellsprachen (mongolische und
turkische Sprachen) und Zielsprachen (Deutsch, Englisch...) und
Transkriptionssysteme liegt. Verbreitet sind:
- Tengri, Tänri, Tengre, Tenger, Tengere, Tangra, Tangar, Tangara, Tenghri, Tanrı.
- Tengrismus, Tengerismus, Tänriismus, Tangriismus, Tengrianismus, Tangrismus.
Geschichte
Die ältesten,
schriftlichen Nachweise über die Verehrung des Himmelsgottes Tengri
findet man in der alten chinesischen Literatur, die sich nicht nur mit
den Chinesen selbst, sondern auch mit den benachbarten und verfeindeten
Völkern beschäftigt. Daraus ist zu entnehmen, dass die Hsiung-nu schon
im 4. Jahrhundert v.Chr. Tengri verehrten.
„Tengri: Himmel(-sgott).
Der älteste Beleg für dieses Wort findet sich in den chinesischen
Annalen bezüglich der Hsiung-nu in der Form tcheng-li, was zweifellos
die chinesische Transkription des zweisilbigen Wortes tängri ist.
Später geben die Chinesen in der Form teng-ning-li ( oder teng-yi-li),
ein dreisilbiges Wort für tengri an: Der Ausfall des mittleren i ist
normal, aber während das dreisilbige Wort später im Gök-Türkischen
belegt ist (manchmal auch Tengeri), ist es in den frühesten Texten
unbekannt. Keine Etymologie ist bisher allgemein anerkannt: Man hat das
sumerische dingir, das chinesische T`ien und den gök-türkischen teng-
vorgeschlagen, was relativ befriedigend erscheint...
... Tengri hat
alle Kennzeichen eines Nationalgottes. Die Gök-Türken wohnen im Zentrum
der Welt, direkt unter dem Himmel, der sie also besonders beschützt.
Die Texte aus den Inschriften sagen deutlich, dass er der Gott der
Türken ist (Türük Tängrisi), nicht der fremder Völker. Er trägt
manchmal den Titel Khan (Kaiser). Er beschützt besonders sein Volk. Im
Verein mit anderen Mächten befiehlt er, „dass das gök-türkische Volk
nicht zunichte werde, dass es wieder ein Volk werde“. “ (Die
alttürkische Mythologie / von Jean-Paul Roux, S. 255)
Die Hsiung-nu
glaubten, dass das Blut ihrer Herrscher vom Gott Tengri geadelt ist.
Laut einer Legende der Hsiung-Nu gilt die heilige Wölfin Asena als
Ahnin. In einer anderen Legende vereinigt sich Tengri persönlich in
Gestalt eines Wolfes mit der Tochter eines Tue'kue Herrschers. Die
Herrscher der Türken führten ihre Abstammung auch nach über tausend
Jahren später noch auf dieses Asena- Adelsgeschlecht zurück und wurden
daher von ihren Untertanen als lebende Gottheiten verehrt.
Göktürken
Die Göktürken
waren die erste türkische Horde, die der Nachwelt zahlreiche
schriftliche Nachweise hinterlassen haben, die viele wertvolle Hinweise
über ihre Kultur, Glauben und Politik enthalten. Aus den Orchon-Runen
geschriebenen Kül-Tegin-Stelen (7. Jahrhundert), geht das folgende
tengristische Glaubensbekenntnis hervor:
„üzä kök tänri asra yağız yer kılıntıkda, ekin ara kişi oğli kılınmış.“
Zu deutsch:
„Als
oben der blaue Himmel und unten die braune Erde ins Dasein trat, wurde
durch diese (dazwischen) das Menschengeschlecht gezeugt.“
Die
Herrschertitel der Göktürken enthielten stets den Hinweis auf ihre
göttliche Verbindung zum Himmel; wie etwa kök tengri yaratmış (von
Tengri erschaffen). In den Inschriften des Bilge Khan (reg. 716-734 das
Reich der Göktürken) heißt es: „Im
Auftrag des Himmels ist der türkische Herrscher eingesetzt, um die Welt
zu regieren“. Ein Zusatz in seinem Titel lautete: „tänri täg tänri
yaratmış türk bilge kağan“, zu deutsch: „Der Himmelsähnliche, vom
Himmel (mit dem Volk) zusammengestellte adlige (türk) Bilge Khan.“ [2]
Im
Reich der Göktürken erlebte der Tengrismus eine Blütezeit, obwohl der
zunehmende Einfluss fremder Religionen in jenem Vielvölkerstaat groß
gewesen sein muss. In einer der Überlieferungen wird der große Khan von
seinem Berater vor der zunehmenden Verbreitung des Buddhismus gewarnt;
der Buddhismus würde die Türken zu unproduktiven und gleichgültigen
Pazifisten werden lassen. Aber abgesehen davon war der Tengrismus
anderen Religionen gegenüber sehr tolerant eingestellt. In einer
Überlieferung über einen Kiptschaken-Khan heißt es, er hätte vor der
Schlacht alle geistlichen Führer aus seiner Horde unterschiedlichster
Glauben zu einem gemeinsamen Gottesdienst zusammengeführt und gesagt: „Je mehr Götter auf unserer Seite sind, umso besser ist es für uns!“
Mongolen
Auch der große Mongole Dschingis Khan (Чингис хаан, Tschingis Chaan,
Chinggis Khaan, Genghis Khan) war anderen Religionen gegenüber nicht
verschlossen. Er suchte in Friedenszeiten regelmäßig die Ruhe
abgeschieden gelegener buddhistischer Klöster auf, um mit Meditation zu
sich zu finden und um sich von seinen Schlachten zu erholen. Er
vereinte tengristische Stämme Zentralasiens zu einer unbesiegbaren
Horde und erschuf das größte Reich der Menschheitsgeschichte. Er begann
seine Reden immer mit den Worten: „Auf Wunsch des ewigen blauen Himmels
…“ In der Goldenen Horde erlebte der Tengrismus eine weitere
Blütezeit[1].
Nachdem
Kubilai Khan China eroberte, wuchs sein Interesse an den dort
beheimateten Religionen. Er ahmte die chinesische Lehre des einen
Himmels Tian Ming, die der Lehre von Tengri ohnehin sehr verwandt ist,
nach. Er war auch begeistert von der hohen Bildung uigurischer
Buddha-Mönche. Er beauftragte eine Gruppe uighurischer Mönche damit,
die Lehren Buddhas auch unter der Mongolen zu verbreiten und schickte
sie nach Karakorum, wo sie ein buddhistisches Kloster errichteten. Dem
Buddhismus gelang es allerdings bis heute nicht, den Tengrismus in
der Mongolei zu verdrängen, er wurde lediglich in den Tengrismus integriert. Der lamaistische Buddhismus
der Mongolen besteht heute meist nur daraus, die Buddha-Statue
gemeinsam mit einem Bild Dschingis Khans und dem Totem an seinen
heiligen Platz auf dem Altar des Nomadenzeltes zu stellen.
Tengri in Europa
Der Tengrismus wurde durch die Eroberungszüge der kriegerischen
Hunnen, Awaren, (Proto-) Bulgaren, Kumanen und später auch durch die
Goldene Horde Dschingis Khans auch bis nach Europa getragen.
Der
Glaube war so eng mit dem Nomadenleben verknüpft, dass die
Sesshaftwerdung der tengristischen Völker immer mit dem Wechsel ihres
Glaubens verbunden war. Solange die Menschen als Nomaden lebten, sind
sie auch lange tengristisch geblieben. In Ost- und Mitteleuropa sollen
bis ins späte Mittelalter noch umherziehende Nomadenstämme anzutreffen
gewesen sein, die Tengri verehrten [4].
„..Das Wort "tudomany"
(Ungarisch heute: Wissenschaft) war ursprünglich das okkulte Wissen
oder der Zauber. Der ungarische Schamane, der "Taltos" heißt, erlangte
sein "tudomany" nach einem einige Tage anhaltenden Scheintod,
währenddessen er initiiert wurde. Das Wort "Taltos" für den ungarischen
Schamanen stammt etymologisch aus dem türkischen "tal-, talt-", was die
Bedeutung von "in Ohnmacht fallen", "die Besinnung verlieren",
"eintauchen" hat. Die Einweihung geschah durch eine Prüfung , in der
der angehende Schamane in seinem Trancezustand den "bis zum Himmel
reichenden Baum" (ung. "Tetejetlen nagy fa") erklettern musste. Dieser
Weltenbaum gehörte zum Weltbild dieser Völker.“[5]
Die Protobulgaren
nannten den Himmelsgott Tangra [6] und benannten einen großen Berg in
Bulgarien nach ihm, dessen Name erst im 15. Jahrhundert durch die
Osmanen in Musala (Mashallah: Gottes Lob) umgeändert wurde. Sie haben
aber noch viele andere Spuren hinterlassen, wie etwa mehrere Felsen,
die eine Runeninschrift mit den Gottesnamen Tangra tragen, oder das
Relief mit der Abbildung der Fruchtbarkeitsgöttin Umay auf dem
höchstgelegenen Felsen von Perperikon.
864 erklärte Zar Boris
Michael Khan das Christentum zur offiziellen Staatsreligion. Damit
wurde der Tengrismus in Bulgarien im 9. Jahrhundert aufgegeben (siehe
Bulgarische Geschichte).
Die nach Europa gewanderten Tengristen
haben mit der Sesshaftwerdung im Laufe der Zeit ihre Identität verloren
und sind überwiegend in slawischen, germanischen und romanischen
Völkern aufgegangen.
Übrige Turkvölker
Schon vor dem 10. Jahrhundert gab es kleinere Horden und Stämme,
die mit Arabern und Persern in Kontakt gekommen waren und (nicht immer
freiwillig) zum Islam übergetreten sind. Aber erst im Jahre 920 traten
als erstes größeres Turkvolk die Karachaniden unter ihrem Herrscher
Saltuq Bughra Qara-Khan 'Abd al-Karim (reg. 920-56) geschlossen zum
Islam über. Danach breitete sich der Islam unter den Turkvölkern im
Südwesten Zentralasiens immer schneller aus.
Einige Turkvölker waren
vor ihrer Islamisierung aber auch nestorianische Christen. Persische
Überlieferungen aus dem Jahr 581 berichten von türkischen Gefangenen,
die eine Kreuz-Tätowierung im Gesicht getragen haben sollen.
762
erklärte Bögü Khan im Reich der Uighuren den Manichäismus zur
Staatsreligion. Da die Prinzipien des Manichäismus absolut nicht mit
denen des Tengrismus übereinstimmten, ist es nur schwer vorstellbar,
dass die gesamte Bevölkerung der neuen Religion sofort gefolgt ist.
Nachdem die Uighuren mehrheitlich den Buddhismus als Religion
angenommen hatten, haben sie auf dieser Grundlage die erste sesshafte,
türkische Zivilisation gegründet. Sie wurden sogar zu Vorreitern des
Buddhismus; übersetzten sanskritische und chinesische Texte zuhauf ins
Türkische und waren sogar missionarisch tätig. Sie gründeten das erste
buddhistische Kloster für Frauen. Nach einem Angriff der Kirgisen
wurden sie zwischenzeitlich wieder in eine nomadische Lebensweise
zurückgeworfen. Die heutigen Uighuren sind überwiegend muslimisch.
Ab
dem 16. Jahrhundert wurden immer mehr Turkvölker Sibiriens durch die
Russen christianisiert und slawisiert. Das Vertrauen in den
Dorfschamanen mancher dieser Christen ist allerdings auch heute noch
größer als etwa in den Arzt oder den Priester ihres Dorfes.
Letztendlich blieb der Tengrismus bei den Mongolen neben dem Lamaismus,
und bei einigen kleinen noch naturverbunden lebenden Turkvölkern
Sibiriens erhalten.
Die Völker in Asien, bei denen der Tengrismus
bis heute erhalten geblieben ist, sind ausschließlich Nomaden. Bei
manchen islamischen Turkvölkern wie Kirgisen oder Turkmenen, bei denen
ein Teil der Bevölkerung heute noch als Nomaden leben, existieren auch
heute noch praktizierende Schamanen, die ihre alten Rituale mit
islamischen Gebeten kombinieren.
In den letzten Jahrhunderten wurden
einige Versuche unternommen, den Tengrismus neu zu strukturieren. Eines
dieser Versuche in der Altai-Region wird heute in der westlichen
Literatur als Burchanismus bezeichnet. Der Burchanismus war
anti-schamanistisch und vor allem anti-russisch. Die Schamanen hatten
im Laufe der Jahrhunderte immer mehr Elemente aus fremden Religionen in
ihre Praktiken aufgenommen und hatten den Tengrismus verfremdet. Der
Burchanismus rief dazu auf, die Schamanen zu verfolgen und auch alles
Russische zu boykottieren. Es wurden Schamanenkutten und -trommeln
verbrannt. Man verbrannte sogar russische Banknoten. Diese Bewegung
dauerte etwa von 1904 bis 1930 an und wurde am Ende durch die Russen
gewaltsam beendet.
Tengri
Tengri, ( „Ewiger blauer Himmel“ mong. Хөх Мөнх Тэнгэр ) war eine
männliche Gottheit, die den Himmel beseelt.
. Tengri alttürk.: früher Himmel/später Gott.
. Tanrı türk.: Gott.
. Tenger mong.: Himmel (Тэнгэр)
. Tenger Etseg: der Name des Himmelsgottes bei den Mongolen.
„Diese
Ungläubigen nennen den Himmel Tengri und beten zu ihm. Sie bezeichnen
aber auch andere Dinge, die ihnen in der Natur als imposant erscheinen,
wie große Berge oder prächtige Bäume, als Tengri und gehen auch vor
diesen Dingen zum Gebet in die Knie. Möge Allah ihren Seelen gnädig
sein.“ (Aus dem Wörterbuch Divan Lügat ü- Türk des Kaşgarlı Mahmut aus
dem Jahre 1074.)
Tengri
wird als eine nicht personifizierte, männliche Gottheit oder als der
große Geist des Himmels interpretiert. Im Tengrismus wird alles in der
Natur befindliche von einem Geist bewohnt. Tengri ist der mächtigste
von allen. Er gilt als der Erschaffer und Hüter des kosmischen
Gleichgewichts und der natürlichen Kreisläufe. Im Gegensatz zu anderen
heiligen Gestalten, die von den Schamanen und in den Mythologien der
tengristischen Völker sehr menschlich dargestellt beschrieben werden,
gibt es keine Beschreibung oder Personifizierung von Tengri, obwohl er
als der Vater von großen Herrschern und vielen anderen übernatürlichen
Mächten gilt. Er wird immer als zeitloser und endloser, blauer Himmel
erwähnt[1].
Da Tengri aber auch Himmel bedeutet, findet man dieses
Wort auch in den Namen mancher anderer Objekte in der Natur, von denen
die Menschen glaubten, dass diese von einem Himmelsgeist beseelt sind.
Himmels-Berg, Himmels-Baum, Himmels-Felsen, Himmels-Wolf usw. Die
Geister wurden in Himmels- und Erd-Wassergeister eingeteilt. Aber der
eigentliche Tengri war stets im Himmel selbst.
Verehrung Tengris
Jedes Ritual begann mit der Ehrwürdigung von Tengri, der
Mutter-Erde Yer und der Ahnen. Tengri wurde auch im Alltag der Menschen
ständig erwähnt und gewürdigt. Wenn ein besonderes Getränk getrunken
werden sollte, goss man zuerst einen Teil davon in eine Schüssel und
überreichte es dem Vater-Himmel, der Mutter-Erde und den Ahnen.
Außerdem opferten Frauen regelmäßig Milch oder Tee, indem sie mit dem
Getränk um das Zelt gingen und es dabei drei mal in alle vier
Himmelsrichtungen verteilten. Der Einfluss Tengris auf das Schicksal
wurde als Lob des Himmels bezeichnet und in alltäglichen Gesprächen
ständig erwähnt.
Es gab regelmäßige Opferungen an die Berggeister
und andere religiöse Feiern, bei denen vor allem Tengri angebetet
wurde. Es gab auch ein Opferungsritual für schnelle Hilfe in dringender
Not, bei dem für Tengri ein Tier geopfert wurde. Regengebete waren
ebenfalls direkt an Tengri gerichtet. Sie wurden an bestimmten heiligen
Orten ausgeführt, die bei den Mongolen als Oboo und bei den Türken als
Oba bezeichnet wurden. Mit den mächtigen Berggeistern Kontakt
aufzunehmen und das außer Kontrolle geratene Gleichgewicht wieder
herzustellen, war nur Schamanen gestattet, aber Tengri durfte jeder
Mensch jederzeit selbstständig um Hilfe bitten.
Blitze
Blitz und Donner
wurden als ein Zeichen seiner Unzufriedenheit gedeutet. Manchmal wurden
Blitze aber auch als Hinweis auf einen besonders spirituell starken
Punkt in der Natur angesehen. An diesem Punkt vollzogen Schamanen ein
Ritual, den Yohor-Tanz, um die dort entladene Energie wieder zurück ins
himmlische Reich zu schicken. Man glaubte, dass vom Blitz oder von
Meteoren getroffene Gegenstände mit himmlischer Energie beladen wurden.
Man glaubte auch, dass Blitze, die man auch als Haar des Himmels
bezeichnete, auch Getränke wie zum Beispiel Kumys mit göttlicher
Energie anreicherten, die man dann in dem Glauben getrunken hat, die
göttliche Energie würde damit auf den Menschen übergehen. Manche
Meteoriten oder Steine, die von einem Blitz getroffen waren, wurden für
das Regenzauber-Ritual verwendet [1].
Yer (Mutter-Erde)
(Prächtige
Bäume, die gesund gedeihen, sind ein Zeichen dafür, dass
Mutter-Erde mit den Menschen zufrieden ist. Gebete an
Mutter-Erde
wurden an
gesunde, große Bäume gerichtet.)
Genau
wie Tengri wurde auch Mutter-Erde (Yer, Gazar Eej oder Eje) nicht als
menschenähnlich dargestellt. Sie war lediglich die fruchtbare Erde, an
dessen Brust sich die Menschen geborgen fühlten und die sie ernährte.
Sie wurde auch Itügen genannt. Schamaninnen bekamen oft einen Namen,
der sich von Itügen ableitete (Jadgan, Utgan, Udagan usw.). Ihre
Tochter Umay (tungusisch für Erde, auch Tenger Ninnian genannt) war die
Göttin der Schwangeren und Hüterin der Seelen der Ungeborenen im
Weltenbaum.
Der Zustand der Bäume spiegelt die Stimmung der
Mutter-Erde wider. Wenn ein Gebet oder Ritual an sie gerichtet ist,
wird das in Richtung eines besonders prächtigen Baumes vollzogen.
Eine
weitere Tochter von Mutter-Erde und Tengri war Golomto, der Geist des
Feuers. Feuer ist ein Symbol für die Kraft der Erde und des Himmels.
Ihr Licht symbolisiert das Licht des Himmels, und die Wärme, die sie
spendet, symbolisiert die von Mutter-Erde ausgehende Geborgenheit.
Genau wie die Bäume erhalten auch die Menschen Energie von Himmel und
Erde[1].
Verehrung von
Himmelskörpern
Sonne
und Mond symbolisieren die Gegensätze Feuer und Wasser und die Kraft
Tengris. Obwohl Zeit und Ort im Tengrismus keine große Rolle spielen -
denn Zeit ist ein endloser Kreislauf und die Mitte des Universums kann
jederzeit überall sein -, spielen Himmelskörper dennoch wichtige Rollen
im Tengrismus. Der Buyan, den man durch Anbetung des Himmels und der
Sonne erhalten kann, ändert sich von Zeit zu Zeit. Bei Neu- oder
Vollmond kann man das meiste Buyan erhalten. Der längste Tag des Jahres
und die Tage, an denen Hell und Dunkel gleich lang dauern
(Sonnenwenden), bestimmen die wichtigsten Feiertage. Das Jahr beginnt
mit dem weißen Mondfest (beim nächsten Neumond nach dem 21. Dezember).
Das rote Sonnen-Fest findet am auf den 21. Juni folgenden Vollmond
statt.
Der Himmelskörper Venus wird türkisch ärklik, mongolisch
Tsolman genannt. Sie war oft auf den Trommeln der Schamanen abgebildet.
Es wurde geglaubt dass ärklik han die Meteore und Sternschnuppen
schickt die, die Feuerpfeile genannt wurden. Das Sternzeichen Großer
Bär wird Doolon Obdog (türk. Büyük Ayı) genannt, der Mann mit den
sieben Tränen (türk. Yedi Kardeşler, Sieben Brüder).
Es wurde
geglaubt, dass der Himmel am Polarstern befestigt ist, und dass sich
der Himmel um diesen Stern dreht. Die Plejaden (alttürk.Ülker) wurden
als der Wohnort von sehr mächtigen Himmelsgeistern angesehen. Diese
Geister hatten sich einst versammelt, um den ersten Schamanen in
Gestalt eines Adlers auf die Erde zu schicken. Beim weißen Mondfest
werden 14 Weihrauchstäbchen angezündet, davon sieben für den Mann mit
den sieben Tränen (Großer Bär) und sieben für die Plejaden[1].
Drei-Welten-Kosmologie
Wie
in den meisten vorzeitlichen Religionen gibt es auch im Tengrismus
neben der realen irdischen Welt auch eine Oberwelt (Himmelsreich) und
eine Unterwelt, die durch einen Nabel der Welt miteinander verbunden
sind. Im Tengrismus ist dieser Nabel der so genannte Weltenbaum.
Oberwelt
und Unterwelt haben je sieben Ebenen (manchmal die Unterwelt 9, oder
der Himmel 17). Schamanen kennen mehrere Eingänge in diese Welten. In
diesen Ebenen (Parallelwelten) leben überirdische Wesen, die ein
ähnliches Leben führen wie die irdischen Wesen auf der Erde. Auch sie
haben ihre eigenen Naturgeister. Wenn sie auf die Erde kommen, sind sie
für die Menschen unsichtbar. Ihre Anwesenheit wird nur manchmal durch
bestimmte Anzeichen wahrnehmbar: durch ein seltsames Knistern des
Feuers, durch das Bellen eines Fuchses, oder dadurch, dass ein Schamane
sie sieht [1].
Unterwelt
Die Unterwelt hat
Ähnlichkeit mit der irdischen Welt, aber ihre Bewohner haben im
Gegensatz zu den irdischen Wesen keine drei Seelen, sondern nur eine.
Ihnen fehlt die Ami-Seele, die für Körperwärme sorgt und eine Atmung
erforderlich macht. Sie sind sehr blass und ihr Blut sehr dunkel. Unter
ihnen sind Sonnenseelen mancher Menschen, die auf ihre Reinkarnation
warten. Sonne und Mond sind in der Unterwelt sehr viel dunkler. Auch
dort gibt es Wälder, Flüsse und Siedlungsgebiete. Die Wesen der
Unterwelt haben ihre eigenen Schamanen.
Die Unterwelt ist das Reich
des Erlik Khan (mongol. Erleg Han). Er ist der Sohn des Himmelsgottes
Tengri. Die Reinkarnation der in der Unterwelt hausenden Seelen stehen
unter seiner Kontrolle. Wenn eine Seele eines irdischen Wesens schon
vor seinem Tod in die Unterwelt abrutscht, kann ein Schamane sie durch
das Verhandeln mit Erlik Khan wieder zurückholen. Schafft er es nicht,
stirbt der kranke Mensch.
Oberwelt
Die Oberwelt
(Himmelsreich) hat ebenfalls Ähnlichkeit mit der irdischen Welt, nur
gibt es hier keine Seelen von Menschen wie in der Unterwelt. In dieser
Welt ist es sehr viel heller als auf der Erde (nach einer Sage hat sie
sieben Sonnen). Sie kann durch irdische Schamanen besucht werden. Hier
ist die Natur noch unberührter, und ihre Bewohner sind von der
Tradition ihrer Ahnen nie abgewichen. Dies ist das Reich von Ülgen, der
ebenfalls ein Sohn des Himmelsgottes ist. An manchen Tagen geht der
Eingang zum Himmelsreich einen Spalt auf, dann strahlt das Licht der
Oberwelt durch die Wolken. In diesem Moment sind die Gebete des
Schamanen besonders wirksam.
Der Schamane kann in Gestalt oder auf
dem Rücken eines Vogels, auf dem Rücken eines Pferdes oder Hirsches,
durch das Erklimmen des Weltenbaumes oder eines Regenbogens in die
Oberwelt gelangen.
Die Welt ist aus der Perspektive eines Tengristen
nicht einfach nur dreidimensional, sondern ein geschlossener Kreislauf.
Es bewegt sich alles in einem Kreislauf; die Bewegung der Sonne, die
immer wiederkehrenden Jahreszeiten und die drei Seelen aller Lebewesen,
die immer wieder in die irdische Welt zurückkehren. Der Schamane ist
der Mittler zwischen den Welten. Er kann durch das Erklimmen des
Weltenbaumes oder durch Fliegen in die Ebenen der Oberwelt gelangen,
oder in den Fluss der Seelen eintauchen und darin mit der Strömung bis
zum Eingang der Unterwelt schwimmen, der im Norden liegt [1].
Bedeutung
des Nomadengeres (Jurtes) und der Himmelsrichtungen
Himmelsrichtungen
Früher
gab es die Himmelsrichtungen Vorne, Hinten, Links und Rechts. Vorne war
Osten, doch aus unbekannten Gründen ist daraus die Bezeichnung für
Süden geworden. Heute ist der Norden Hinten. Man glaubte, dass im Osten
die bösen, weiblichen Geister hausten, die Krankheiten und
Unausgeglichenheit brachten, und im Westen die guten männlichen
Himmelsgeister [1].
Mikrokosmos Jurte
Das
Nomadenger (Ger mong. Гэр, türk. Yurt / Jurte) ist nicht nur
die Mitte
des Kosmos, sondern ist selbst ein Mikrokosmos. Die kuppelförmige Decke
symbolisiert den Himmel. Der Eingang der Jurte gilt als Vorne und ist
daher stets Richtung Süden ausgerichtet. Die Stelle hinter der
Feuerstelle wird Hoimar (mong. Хоймор) genannt, dies ist die Nordseite
(hinten). Hier
wird ein Tisch hingestellt, auf der das Totem (türk. Ongun, mong. Онгон
/Ongon/) aufgestellt wird und Opfergaben für die Geister abgelegt
werden.
Der Sitzplatz daneben gilt als der bedeutendste Sitzplatz im Zelt. Hier
nehmen Stammesälteste, Schamanen und andere ehrwürdige Gäste Platz.
.
Rechts (Westen) ist die männliche Seite des Zeltes, hier nehmen nur
Männer Platz. Waffen und andere männliche Gebrauchsgegenstände werden
ebenfalls nur hier aufbewahrt.
. Links (Osten) ist die
weibliche Seite. Hier nehmen Frauen Platz, und weibliche
Gebrauchsgegenstände wie Küchengeräte oder Kinderbetten werden hier
aufbewahrt. Jugendliche halten sich in der Nähe der weiblichen Seite
auf. (Im zwanzigsten Jahrhundert scheint die Ausrichtung zwischen Osten
und Westen aber an Bedeutung verloren zu haben. Heute sind viele Jurten
auch spiegelverkehrt eingerichtet.)
. Im Zentrum der Jurte
befindet sich die Feuerstelle, der heiligste Punkt. Dies ist der Platz
von Golomto, der Tochter Tengris. Man muss ihr Respekt erweisen. Die
Jurte ist das Zentrum im Kosmos, und Gal Golomto (die Feuerstelle
Golomtos) ist das Zentrum des Mikrokosmos. Die von der Feuerstelle
aufsteigende Rauchsäule symbolisiert den Weltenbaum und die
Rauchöffnung an der Decke den Eingang ins himmlische Reich. Die
Traumreise der Schamanen beginnt meist durch diese Rauchöffnung.
Entweder erklimmt der Schamane den Weltenbaum, oder er fliegt in
Gestalt eines Vogels aus dieser Rauchöffnung.
Der
kleine, runde Sonnenstrahl, der durch die Rauchöffnung in die Jurte
fällt, bewegt sich im Uhrzeigersinn. An ihr kann man die Uhrzeit
ablesen. Auch die Bewohner der Jurte bewegen sich nur im Uhrzeigersinn
durch die Jurte, um das Gleichgewicht nicht zu stören. Auch die
Schamanen richten sich bei ihren Bewegungen während eines Rituals immer
an die Uhrzeigerrichtung [1].
Mit dieser Sichtweise hatten tengristische
Nomaden eine ganz eigene Vorstellung von Heimat. Heimat war überall
dort, wo die Jurte (türkisch Yurt = Heimat / Heim) aufgebaut wurde. Die
Herrscher der Steppenreiche, die im Westen lagen, wurden als mächtiger
und heiliger angesehen als jene, die ein Reich im Osten hatten.
Andere übernatürliche
Mächte
Dadurch,
dass große Herrscher aufgrund der Ahnenverehrung nach ihrem Tod den
Status eines Gottes erreichen, existieren von Stamm zu Stamm
zusätzliche unterschiedliche heilige Ahnen, die angebetet werden. Dabei
werden manche zu einem hohen Himmelsgeist, der in der höchsten Ebene
der Oberwelt wohnt, wie etwa der von den Altaiern verehrte Kaira Khan
(oder Kara Han). Manche Historiker ordnen ihn als den Vater des Oğus
Khan ein, der Kara Khan hieß und ein siegreicher und mächtiger
Herrscher war. Daher ist es schier unmöglich, eine vollständige Liste
heiliger Gestalten und Geister des Tengrismus zusammenzutragen.
Die Bekanntesten heiligen
Gestalten
Die wichtigsten, neben Tengri selbst verehrten sind:
. Ülgen (bei Altaiern auch Adakutay, bei Jakuten Ak Toyun):
Sohn Tengris. Herrscher des Himmelsreiches (Paradies).
.
Erlik Khan (Unterwelt: Yerlik oder Erlik, mong. Эрлэг хаан): Herr der
Unterwelt. Er haust in der 7. Ebene der Unterwelt in einen Schloss aus
grünem Eisen. Er hat sich in der Unterwelt eine Sonne erschaffen, die
dunkelrot leuchtet. Er sitzt auf einem Thron aus Silber. Ihm stehen
neun gesattelte Stiere zur Verfügung. In einer Legende, die bei dem
Turkvolk der Dolganen heute noch erzählt wird, soll Erlik Khan die
Mammuts von der irdischen Welt in die Unterwelt geholt haben. Sie seien
dazu verdammt, ein Dasein in stinkender, heißer Finsternis zu führen
und dem Erlik Khan bis in alle Ewigkeit zu dienen. Wenn ein Mammut
versucht, auf die Erdoberfläche zu gelangen, soll es sofort zu Eis
gefrieren. Mit dieser Legende erklärten sich die Dolganen ihre
gelegentlichen Funde von tiefgefrorenen, halb aus dem Dauerfrostboden
der Tundra ragenden Mammuts [7].
. Umay: ( auch Iduk Umay oder
Tenger Ninnian ) Tochter Tengris. Ihr Name bedeutet auf Türkisch
Plazenta (Mutterkuchen). Sie ist die Beschützerin der Schwangeren und
Hüterin der im Weltenbaum befindlichen, ungeborenen Seelen. Wenn ein
Kind geboren werden soll, bringt Umay einen Tropfen Milch aus dem in
der dritten Ebene des Himmels befindlichem Milchsee und erweckt damit
das neue Leben im Kind. Umay wird manchmal auch als der Name für die
Mutter-Erde selbst verwendet.
. Golomto (mong. Голомт): Tochter Tengris. Herrin des Feuers.
Speziell bei den
Nordtürken
Die Nordtürken kannten folgende Götter:
.
Ayzit: Liebes- und Schönheitsgöttin. Sie haust in der dritten Ebene des
Himmels. In den wirren Gebeten und Gesängen der Schamanen wird ihre
blendende Schönheit beschrieben.
. Gün Ana: Sonnengöttin.
Haust gemeinsam mit der Sonne in der höchsten Ebene (7.). Sie wird als
die erste Großmutter der Menschen verehrt.
. Ay Ata: (auch Ay
Dede) Gott des Mondes. Sitzt in der 6. Ebene des Himmels. Er wird als
der erste Großvater der Menschen verehrt.
. Aykız: Mondgöttin. Sie haust gemeinsam mit dem Mond auf der
5. Ebene des Himmels.
. Alasbatir: Schutzpatron der Haustiere.
. Ancasin: Herr der Blitze.
. Su Iyesi: Herrin des Wassers.
. Tasch Gaschit: Gott des Schicksals.
. Andarkan: Herr des Feuers. Eine Göttin der Pflanzen, bei
den alten Kirgisen trug denselben Namen.
.
Satilay: Eine böse Göttin die Unausgeglichenheit, Verwirrtheit und
geistige Krankheiten bringt. Sie lockt verzweifelte Menschen in den
Freitod.
. Kysch Khan: Herr des Winters (türk. kış, Winter).
. Arah, Toyer, Tarila, Sabiray: Göttliche Richter der
Unterwelt, die über sündige Menschen richten.
. Gölpön Ata: Schutzpatron der Schafe.
. Erdenay: Götterbote; Er überbringt Nachrichten über gute
Taten der Götter an die Menschen.
. Qambar Ata: Beschützer der Pferde.
Geister
Im
Tengrismus herrscht die animistische Vorstellung, dass alles in der
Natur befindliche von einem Geist beseelt ist. Daher gibt es eine
Vielzahl von Geistern, die auch in verschiedene Gruppen unterteilt
werden. Diese haben je nach Sprache oder Dialekt unterschiedliche Namen.
Es
gibt zwei große Kategorien von Geistern: Die Himmelsgeister (Tengris /
Tengers) und die Erd- Wassergeister (türk. Yer su / Gazriin Ezen mong.
Газрийн эзэн). Laut Rafael Bezertinov gibt es bei den Türken 17 Tengris
und bei den Mongolen 99 Tengers, die 77 Erd-Wassergeistern
gegenüberstehen. Die Himmelsgeister sind mit dem Himmel verbunden und
die Erd-Wassergeister mit der Mutter-Erde. Einige sind so mächtig, dass
sie nicht durch einen Schamanen kontrolliert werden können, andere sind
dagegen leicht zu kontrollieren. Ein Geist darf nur gestört und
kontrolliert werden, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, niemals
aus reiner Neugier oder wegen belangloser Dinge.
Die mächtigsten
Geister sind die Tengers, die an den vier Enden der vier
Himmelsrichtungen existieren. Es heißt, dass die West-Tenger die
Menschen, die Hunde und die essbaren Tiere erschaffen haben. Die
Ost-Tenger sollen die Adler, die Tiere, die man nicht essen darf, und
die Geister, die Krankheiten bringen, erschaffen haben. Da das
Gleichgewicht immer schwankt, dürfen die Ost-Tengers nicht immer als
böse und die West-Tenger immer als gut angesehen werden.
. Der wichtigste Ost-Tenger ist Erlik Khan, der Herr der
Unterwelt, Bruder von Ülgen.
. Usan Han, der Herr der Wassergeister, wird aus dem Süden
gerufen.
. Tatay Tenger wird aus dem Norden gerufen. Er ist der Herr
der Stürme, Blitze und Tornados.
Die
Tengers sind sehr mächtig und können daher nicht kontrolliert werden,
aber sie können während eines Schamanenrituals um Hilfe gebeten werden.
Die Seelen der Menschen, die ein vorbildliches Leben gelebt haben,
gelangen gänzlich in den Himmel. Sie hausen dann in den Wolken und
sorgen für den Regen. Es existieren außerdem noch die folgenden
Geister: Tschotgors, Ozoors, Ongons, Burchans und Yer su (auch Gazrin
Ezens oder Ayy genannt).
. Yer su (Gazrin Ezen, Ayy) sind
Geister, die einen bestimmten Berg, See, Fluss, Felsen, Baum, Dorf,
Gebäude oder sogar ein ganzes Reich beherrschen. In einer alten
türkischen Legende vertreiben die Yer Su einen ganzen Stamm aus ihrer
Heimat, weil sie diese durch einen Fehler gekränkt haben.
.
Tschotgors sind unter anderem für physische und psychische Krankheiten
und für Verwirrtheit mancher Menschen verantwortlich. Manche Tschotgors
sind die Suns-Seelen mancher Menschen, die den Weg in die Unterwelt
nicht gefunden haben. In diesem Fall müssen sie von einem Schamanen auf
ihren Weg gebracht werden. Andere böse Geister stehen außerhalb des
Reinkarnations-Kreislaufes und leben ewig in der Natur. Sie können sich
in einen guten Helfer-Geist verwandeln, nachdem sie von einem Schamanen
kontrolliert wurden.
. Ozoors, Ongons und Burchans sind meist
gute Geister, aber können von Zeit zu Zeit auch Probleme bereiten.
Ozoors und Ongons sind die Sud-Seelen mancher Ahnen, die eine Phase
lang in der Natur leben. Diese sind dem Schamanen während eines Rituals
die wichtigsten Helfer.
. Körmös oder Utha werden Geister
genannt, die einen Schamanen als zusätzliche Seele begleiten und ihn
führen. Es sind ehemalige Seelen toter Schamanen. Die Körmös tragen das
Wissen mehrerer Schamanen-Generationen bei sich. Es gibt sowohl gute
als auch böse Körmös. Sie geleiten unter anderem auch die Seelen
Verstorbener zu ihrem Bestimmungsort.
. Burchans sind zu
mächtig, um von einem Schamanen kontrolliert zu werden. Wenn sie eine
Krankheit ausgelöst haben, kann man sie nur darum bitten, den Kranken
in Ruhe zu lassen. Nur Schamanen, die einen sehr starken Geist als
Helfer haben, können einen Burchan kontrollieren. Danach verwandelt
sich der Burchan in einen weniger starken Ongon [1].
Einige mächtige Geister
der Altaier
. Altay Han: Ein mächtiger Geist. Er haust auf dem Gipfel
eines Berges.
. Buncak Toyun: Bewacht gemeinsam mit Buzul Toyun den Weg,
der im Himmel zum Schloss des großen Kaira Khan führt.
. Demir Han: Ein mächtiger Berggeist.
. Talay Han: Mächtiger Berggeist.
. Okto Han: Mächtiger Yer Su Berggeist.
Heilige Berge, Seen und
Bäume
Der
Mensch im Tengrismus hat sehr großen Respekt vor der Natur, vor den
Bergen, Wäldern, Flüssen, Bäumen und allen anderen Lebewesen.
Verschwendung gilt als Beleidigung gegenüber Tengri und seiner
Naturgeister. Der Mensch sieht seine Existenz nicht darauf
ausgerichtet, die Natur auszubeuten, sondern lebt mit dem Bewusstsein,
dass sein Überleben von einer intakten Umwelt abhängt. Der Mensch sieht
sich zwar ganz klar als etwas anderes als die übrigen Lebewesen, aber
dennoch werden in den Mythen dieser Menschen die Tiere und sogar die
Bäume als menschenähnliche und selbstständig denkende Wesen
charakterisiert. In der Natur hat alles eine Seele, auch ein Wald, ein
See, ein Felsen, Fluss, Berg und Bäume. Wenn der Mensch etwas aus der
Natur nimmt, ist das nur möglich, weil es ein Naturgeist erlaubt hat,
deshalb muss er dankbar sein, diese Geister respektieren und ihnen Ehre
erweisen.
Berge, Bäche, Wälder, Felsen und Bäume sind ein Teil der
Mutter-Erde, aber sie sind auch die Wohnstätten der Naturgeister Yer
Su. Diese Naturgeister sind ehemalige Ahnen-Geister, an die sich ihre
Nachfahren nicht mehr erinnern. Man sagt, dass große Berge und
eindrucksvolle Bäume eine Suld-Seele haben. Die Suld-Seele ist die
Seele der Menschen, der nach dem Tod des Menschen in der Natur bleibt.
Man glaubt, dass manche Felsen und Bäume besonders starke Geister
beherbergen und reicht diesen regelmäßig Tabak oder Getränke als
Opfergabe, und erweist ihnen Respekt. In der Natur Schäden zu
verursachen, wie etwa Äste von Bäumen abzureißen oder diese unnötig zu
fällen, gelten als großes Tabu. Die verärgerten Naturgeister könnten
sonst große Probleme bereiten [1]. In einer alten türkischen Sage
verschenken die alten Türken einen Felsen, den sie vorher seit 40
Generationen als heilig verehrt hatten, an die Chinesen. Der Himmel
nimmt sofort eine seltsame Farbe an, die Vögel hören auf zu singen, das
Gras der Steppe verblasst und vertrocknet, Krankheiten verbreiten sich.
Auf diese Weise werden sie von den Yer Su (Erd- Wassergeistern) als
Strafe vertrieben.
Berggeister gelten als äußerst mächtig. Für eine
erfolgreiche Jagd und eine reiche Ausbeute an pflanzlicher Nahrung
werden diese Berggeister oft angebetet. Die Anbetung der Berggeister
erfolgt an einer Oboo / Oba. Eine Oba ist meist eine kuppelförmige,
zwei bis drei Meter hohe Anhäufung, die den Berg symbolisiert (und
genau wie auch die Jurte den Kosmos mit allen seinen Bedeutungen).
Jemand, der daran vorbeiläuft, umkreist ihn drei mal und legt einen
Stein darauf ab. Auf diese Weise stärkt der Mensch sein Windpferd, den
Geist des Berges, und erhält somit Glück für seine weitere Reise. Am
Oba werden viele Rituale zu Ehren Tengris, der Mutter-Erde und der
Ahnen abgehalten [1].
Einige heilige Berge und
Seen
. Khan Tengri (Kasachstan)
. Ulu Taw (Kasachstan)
. Altai; auf dem höchsten Gipfel soll der mächtige Altay Han
hausen.
. Issyk Kul: Heiliger See in der Ursprungslegende der
Kirgisen.
. Musala/Bulgarien (dieser Berg hieß Tangri, bevor ihr Name
durch die Osmanen in Musala (Mashallah) umgeändert wurde.)
. Tianshan (ursprünglicher Name in uighurisch Gottes Berg)
Opfergaben
Es gab zwei
Arten von Opfern: blutige und unblutige Opfer. Da man glaubte, dass
Tiere eine Seele besitzen, die wiedergeboren wird, durften Tiere
niemals unnötig gequält werden. Deshalb mussten beim Töten eines Tieres
viele strenge Regeln eingehalten werden. Beim Töten eines Opfertieres
durfte vor allem nicht die Ami-Seele geschädigt werden. Man glaubte,
dass die Ami-Seele in dem Bereich vom Kopf, Kehle, Lunge und Herz
seinen Platz hat. Deshalb musste dieser Bereich als Ganzes erhalten
bleiben.
Blutige Opfer
- Blutige
Opfer waren meist Pferde, Schafe, Ziegen oder Rinder. Beim Töten durfte
kein Tropfen Blut vergossen und keine Knochen gebrochen werden. Das
Fell musste bis auf einen Schnitt am Bauch unversehrt bleiben, ebenso
der Kopf, die Lunge und das Herz. Durch den Schnitt wurde eine Hand in
die Bauchhöhle eingeführt und mit den Fingern die Herzschlagader
durchtrennt (diese unblutige und schmerzlose Art der Tötung ist in der
Mongolei noch heute üblich, um Tiere zu schlachten). Das Opfer wurde
danach in zwei Hälften geteilt und auf zwei Feuerstellen zubereitet.
Dabei achtete man darauf, wie sich der Rauch verhielt. Wenn der Rauch
einer der Feuerstellen steil zum Himmel stieg, dann bedeutete dies, das
diese Hälfte Tengri überlassen werden sollte. Sie wurde einfach auf dem
Feuer gelassen, bis sie vollständig verbrannt war. Die Kirgisen
bevorzugen Pferde auch heute noch als Opfertiere zum islamischen
Opferfest.
Unblutige Opfer
- Unblutige Opfer waren sonstige Lebensmittel, Genussmittel,
Waffen, Haushaltsgeräte und auch sportliche Veranstaltungen wie
traditionelle Ringkämpfe oder Pferderennen. Zum Beispiel ging man mit
einer Schüssel voll Kumys, Milch, Ayran oder Yoghurt um die Jurte, wenn
es bei einem Gewitter donnerte, um damit die Götter zu besänftigen. An
der Stelle, an der ein Blitz eingeschlagen war, veranstalteten junge
Männer einen Ringkampf, als Opfergabe an die Götter. Das allerhäufigste
Opfer ist auch heute noch die Opferung von Kumys oder Wodka. Man taucht
ein Finger in das Getränk, spritzt damit in alle Himmelsrichtungen und
grüßt dabei Tengri, Mutter-Erde und die Ahnen, bevor man es auf ihr
Wohl trinkt.
Ahnenverehrung
Die Seelen
der Ahnen werden immer gemeinsam mit Vater-Himmel und Mutter-Erde
gewürdigt. Der Mensch besitzt drei Seelen, die nach dem Tod
unterschiedliche Schicksale haben. Eine kehrt zurück in den Himmel,
eine zurück in die Erde, und eine bleibt in der Natur. Die in der Natur
verbliebenen Seelen der Ahnen helfen und beschützen ihren Nachfahren.
Nach mehreren Generationen können diese Seelen ihre Nachfahren
verlassen, wenn man sie nicht mehr erwähnt, aber wenn sie regelmäßig
gerufen werden, bleiben sie in der Nähe. Wenn diese Seelen aber ihre
Nachfahren endgültig verlassen haben, werden sie zu Naturgeistern und
hausen z. B. in einem Baum oder einem Stein. Schamanen riefen während
eines Rituals, bei dem böse Geister vertrieben werden mussten, oft die
Seelen der Ahnen zu Hilfe. Sie hielten sich dann in der Nähe des Totems
auf.
Die Türken und die Mongolen sahen den blauen Wolf (kök böri)
und den Rothirsch (maral) als ihre Ahnen an. Die Burjaten haben
außerdem einen wichtigen Ahnen namens Vater Stier. Das mongolische Wort
für Bär bedeutet auch gleichzeitig Vater. Bei den Mongolen unter
Dschingis Khan war auch der Geist eines Ahnen ihr Schutzpatron. Er
beschützte nicht nur das Volk, sondern auch die Ehe. Bei ehemaligen
tengristischen Stämmen ist es auch heute noch gang und gäbe, Fotos von
Ahnen, ein Bild von Dschingis Khan, oder das Stammestotem in eine
besondere Ecke des Hauses zu stellen und ihm regelmäßig Ehre zu
erweisen [1].
Die Herrscher (meist Khan genannt) galten als Heilige.
Ihr Blut, das ebenso als heilig galt, durfte nicht vergossen werden.
Der Khan wurde auch nach seinem Tod noch weiter verehrt. Er wurde
manchmal zum Schutzpatron des Stammes, dem regelmäßig Opfer dargebracht
wurden. Mächtige Khane erreichten nach ihren Tod den Status eines
Gottes. Wenn ein Khan auf einen Beschluss der Stammesältesten
hingerichtet werden musste, durfte dabei sein Blut trotzdem nicht
vergossen werden. Daher wurde er mit der Sehne eines Bogens erdrosselt.
Verwendung von Totems
Der Wald und die Wasserwelt sind der Heimat wilder Tiere, auf die
der Mensch angewiesen ist, um zu überleben. Die Tiere verfügen, wie der
Mensch auch, über eine Ami-Seele. Diese Seele verursacht die
Körperwärme und macht die Atmung erforderlich. Ihre Ami-Seelen werden
innerhalb der eigenen Art wiedergeboren. Weil im Tengrismus die Tiere
Seelen besitzen, haben Tiere individuelle Persönlichkeiten, eigene
Sprachen und besondere Fähigkeiten.
Der große Geist Bayan Ahaa ist
der Herrscher über alle Tiere. Jäger beten zu ihm, bevor sie mit der
Jagd beginnen. Die wichtigsten wilden Tiere sind der Wolf, der Hirsch,
sibirische Tiger, der Schneeleopard und der Bär. Die Burjaten nennen
den Tiger Anda Bars was „bester Freund Tiger“ bedeutet und beten zu
ihm, um Glück in der Jagd zu haben. In Sibirien wird vor allem der Bär
als der Herrscher des Wildnis angesehen. Es gibt viele spezielle
Rituale, die nach dem Tod eines Bären abgehalten werden, um seine Seele
würdig zu verabschieden.
Weil Tiere Seelen besitzen, die
wiedergeboren werden, gilt es beim Töten eines Tieres eine ganze Reihe
von Regeln einzuhalten, um nicht dessen Seele zu erzürnen. Sonst könnte
der gesamte Stamm für eine lange Zeit kein Jagderfolg mehr haben, weil
die Naturgeister es verhindern. Wenn ein großes Waldtier erlegt oder
ein großer Fisch gefangen wurde, kann es sein, dass der Jäger aus
Trauer um dessen Seele sogar weint. In der Regel entschuldigt sich der
Jäger bei der Seele des erlegten Tieres und erklärt ihm, weshalb er es
töten musste. Auch Haustiere werden mit angemessenem Respekt getötet.
Die Kehle wird nicht durchtrennt, weil dabei die Ami-Seele verwundet
werden könnte.
Man glaubte, dass die Ami-Seele in dem Suld-Bereich
Kopf, Hals, Lunge und Herz sitzt. Deshalb musste der Suld immer als
Ganzes erhalten bleiben. Wenn ein Tier geopfert wurde, hat man den Suld
an einer Stange aufgehängt, die zum Himmel gerichtet war. Die Skelette
der Bären, die man verzehrte, wurden im Wald an eine Stange gehängt
oder auf eine Plattform gesetzt.
Im Wald muss man sich sehr
vorsichtig verhalten, um nicht die Geister zu verärgern. Beim Betreten
des Waldes darf man nicht schreien oder rennen. Man muss sich
vorsichtig bewegen wie ein Waldbewohner. Mit einem Stock zu werfen, ist
eine Beleidigung für Bayan Ahaa und andere Naturgeister und gilt daher
als Tabu (nugeltei). Steine ins Wasser zu werfen oder zu urinieren sind
ebenfalls verboten. Tiere dürfen nur dann getötet werden, wenn man ihr
Fleisch oder ihr Fell benötigt. Das Töten muss möglichst schnell und
schmerzfrei erfolgen. Die Beute muss mit dem gesamten Stamm geteilt
werden, es darf nicht gehortet werden. Wenn diese Regeln befolgt
wurden, glaubte man, dass die Naturgeister einverstanden sind.
Flüsse,
Seen, Bäche und Meere sind nicht nur der Lebensraum der Wassertiere,
sondern auch Durchgänge für Seelen, die auf der Reise zwischen den
Welten unterwegs sind. Deshalb wurden manchen Wassertieren besondere
Fähigkeiten zugeschrieben. Man glaubte, dass manche dieser Tiere mit
den Geistern und Seelen in Kontakt stehen.
Manche Tiere in der Natur
können auch die Seelen mancher Schamanen sein, die gerade eine
tierische Gestalt angenommen haben, um bestimmte Aufgaben zu erledigen.
Es gibt eine Geschichte darüber, wie ein Jäger ein Tier erlegte, der
eigentlich die Seele eines Schamanen war. Deshalb starb im selben
Moment auch der Schamane mitten in seinem Ritual. Auch die Seelen der
Ahnen können manchmal die Gestalt eines Tieres annehmen. Dann sind es
jedoch immer Tiere, die nicht gegessen werden, wie z. B. Füchse,
Schakale, Spinnen, Schnecken usw.
Tiere, die als Totem verehrt
werden, dürfen nicht gejagt und nicht gegessen werden. Ihre Namen
auszusprechen gilt als Tabu, deshalb werden sie im Alltag der Menschen
unter anderen Namen beschrieben. Bei den Mongolen sind es vor allem der
blaue Wolf und der Rothirsch. Bei den Türken ist es meistens der Wolf.
Auch der Adler gilt als ein wichtiges Totem.
Die Seelen der Tiere
sind manchmal Lehrer und manchmal Lotsen für die Schamanen. Nach einer
Jakutischer Sitte stellen sich zwei Schamanen, die sich kennen lernen,
zuerst ihre Krafttiere gegenseitig vor. Während eines Rituals nimmt der
Schamane die Gestalt seines Krafttieres an [1].
Windpferd und
Bujanhischig
Die
persönliche, geistige Kraft eines Menschen wird als Windpferd
bezeichnet, welches sich in der Brust befindet. Je nachdem, wie der
Mensch sich und seine Umwelt im Gleichgewicht hält, ist sie bei jedem
unterschiedlich groß. Ein sehr starkes Windpferd bewirkt, dass ein
Mensch sehr klar denkt, sehr vorausschauend ist und stets die richtigen
Entscheidungen trifft. Wenn der Mensch seine Kraft für böse Absichten
einsetzt und damit das Gleichgewicht stört, schwächt er das Windpferd
ab. Deshalb neigen böse Menschen irgendwann auch zur Selbstzerstörung
(vergleichbar mit Karma). Man kann es mit täglichen kleinen Ritualen
stärken. Zum Beispiel, indem man dem Himmel, der Erde und den Ahnen ein
Opfergetränk darbringt oder betet.
Während eines Rituals kann der
Schamane seine Windpferdkraft erhöhen, indem er den Rauch von
bestimmten Kräutern inhaliert und/oder Tieropfer darbringt.
Buyanhischig/Buyan
ist eine ähnliche Angelegenheit. Man könnte es mit einem Bankkonto
vergleichen. Je nach Verhalten eines Menschen mehrt und reduziert sich
der Buyan. Durch Nichtbeachten von Tabus, durch Respektlosigkeit den
Ahnen gegenüber und durch das sinnlose Töten von Tieren werden die
Naturgeister erzürnt und der Buyan schwächt ab.
In dem Bewusstsein,
dass das Stärken des Windpferdes und des Buyans die Lebensqualität und
das Schicksal bestimmen, folgen die Menschen im Tengrismus einer Reihe
von Verhaltensregeln, was letztendlich zu einem harmonischen Leben der
Menschen miteinander, aber auch der Menschen mit der Natur führt [1].
Die mehreren Seelen des
Menschen
Jeder
Mensch und jedes Tier besitzt mehrere Seelen. Man glaubte, dass ein
Mensch mindestens drei Seelen besaß. (Samojeden stellen hier eine
Ausnahme dar. Sie glaubten, dass Frauen über vier und Männer über fünf
Seelen verfügten). Tiere besitzen zwei Seelen: die Ami-Seele und die
Suns-Seele; eine davon wird wiedergeboren. Da Tiere eine Seele haben,
die wiedergeboren wird, muss man respektvoll mit Tieren umgehen.
- Die drei Seelen des Menschen:
- Özüt-Seele (auch Suld-): Bleibt nach dem Tod des Menschen in der Natur.
- Ami-Seele: reinkarniert
Suns-Seele (auch Süne): reinkarniert
Alle
drei Seelen befinden sich innerhalb des Energiefeldes eines Menschen.
Die am meisten lebenswichtige Seele ist die Suld-Seele. Wenn sie den
Körper verlässt, ist der Tod unumgänglich. Die anderen beiden Seelen
können unter Umständen den Körper kurzfristig verlassen und dabei
manchmal Bewusstlosigkeit verursachen. Ami- und Suns-Seele müssen sich
immer an entgegengesetzten Enden des Körpers aufhalten, um das Befinden
im Gleichgewicht zu halten. Wenn sie sich aus irgendwelchen Gründen
schneller bewegen, lösen sie erhöhten Blutdruck aus. Auf dieselbe Weise
gab es Erklärungen und Heilmethoden für sämtliche andere Krankheiten,
die auf die Launen der drei Seelen und die Stärke des Windpferdes
zurückgeführt wurden.
Die Ami-Seele hängt mit der Atmung zusammen
und die Suns-Seele mit Wasser. Die Suns-Seele benutzt Wasserwege, um
sich außerhalb eines Körpers fortzubewegen. Der im Süden liegende
Weltenbaum ist die Verbindung zwischen irdischer Welt und Himmelreich.
Der Weltenfluss, der Richtung Norden fließt, ergießt sich in die
Unterwelt. Die Suns-Seelen werden immer wiedergeboren und kehren zurück
auf die Erde. Es gibt unterschiedliche Mythen über den gesamten
Kreislauf der Seelen. In der meist erzählten Version herrscht Umay über
die im Weltenbaum befindlichen Ami-Seelen, diese gelangen an der Quelle
des Weltenflusses auf die Erdoberfläche. Bei einer Geburt schwimmt die
Seele, die wiedergeboren werden soll, durch den Fluss und dringt in das
neu geborene Baby ein. Wenn ein Mensch stirbt, taucht die Suns-Seele in
den Weltenfluss und schwimmt mit dessen Strömung bis in die Unterwelt.
Die Ami-Seele verwandelt sich in einen Vogel und fliegt zurück zum
Weltenbaum. Um wiedergeboren zu werden, muss die Suns-Seele die Quelle
des Weltenflusses erreichen oder die Milchstraße überqueren, um den
Punkt im Süden zu erreichen, an der sich Himmelreich und Mittelerde
berühren.
Dieser Kreislauf der Seelen ist im Prinzip das Gleiche wie
der Wasserkreislauf in der Natur. Wasser regnet von Himmel herab und
sickert durch die Erde, kommt dann als Quellwasser ans Tageslicht (auch
Bäche sind Eingänge in die Unterwelt). Letztendlich gelangt das Wasser
in die Meere, wo es wieder verdunstet und den Himmel erreicht, von dem
es wieder herabregnet. Die Seelen fließen ebenfalls mit dem Weltenfluss
ins Meer und kehren zur Quelle zurück, um wiedergeboren zu werden [1].
Schamane
Der Schamane
(mong. Бөө) (Kam) gilt selber nicht als heiliger Mensch. Er genießt
lediglich den Respekt der Menschen, weil er mit den Geistern in
Verbindung steht. Daher darf er nicht etwa mit einem Priester
verglichen werden. Für die tägliche Ehrung Tengris und der Geister wird
auch kein Schamane benötigt. Die Aufgaben des Schamanen bestehen
meistens nur darin, das außer Kontrolle geratene Gleichgewicht wieder
herzustellen und Krankheiten zu heilen. Es gibt unterschiedlich starke
Schamanen. Je nachdem, über welche Hilfsgeister sie verfügen, haben sie
unterschiedliche Fähigkeiten. Man unterscheidet zwischen weißen und
schwarzen Schamanen.
Schamanen trugen ein Gewand, das Manyak genannt
wurde. Es musste ebenfalls aus Fellen von bestimmten Tieren hergestellt
werden. Es war mit Knochen und Federn bestückt, die ihre Bedeutungen
hatten. Schamanen und Schamaninnen hatten unterschiedliche Kompetenzen.
Ein Schamane konnte nur bis zur dritten Ebene des Himmels gelangen,
aber eine Schamanin bis zur fünften Ebene. Bei manchen Stämmen dürfen
Frauen keine Schamanen werden, weil sie während der Menstruation als
unrein gelten. Es gab auch so genannte weiße und schwarze Schamanen,
die unterschiedliche Heilkräfte hatten. Sie trugen entweder helle oder
dunkle Manyaks. Schamanen wurden nach ihren Tod zum Körmöz (Geister mit
Zauberkräften) [1].
Schamanenwerdung
Nach einer Sage hatte Erlik Khan die ersten Schamanentrommel gebaut
und das erste Schamanenritual vollzogen. Das, was die Schamanen von
anderen Menschen unterscheidet, ist, dass sie über die Seele eines
verstorbenen anderen Schamanen verfügen. Diese (utha- / Körmös-)Seele
begleitet den Schamanen und hilft ihm. In der Regel taucht die Seele
eines alten Schamanen eines Tages plötzlich auf versetzt den
Auserwählten in einen Zustand der Bewusstlosigkeit (Mediziner sprechen
hierbei von einer Katalepsie, was manchmal sogar mehrere Tage
andauerte). In diesem Zustand hat der Auserwählte eine Vision. In
dieser Vision muss er sich entscheiden, ob er wirklich ein Schamane
werden möchte. Die folgenden beiden Erzählungen sind die meist
verbreiteten über diese Vision:
- Der Auserwählte begegnet dem
Totem-Tier des Stammes. Dieses Tier hat meist ein Zeichen auf seiner
Stirn. Es führt ihn zu dem Baum, von dessen Rinde er den Rahmen seiner
Trommels fertigen muss. Wenn er aus der Bewusstlosigkeit erwacht, geht
der Auserwählte in den Wald, findet das Tier und den Baum aus seiner
Vision und fertigt seine Trommel aus dem Fell des Tieres und der Rinde
des Baumes.
- Die Seele des Hilfsschamanen führt den Auserwählten in
das Himmelsreich und zerlegt seinen Körper in Einzelteile. Diese Teile
müssen wieder zusammengeflickt werden, damit er mit neuen
Schamanen-Kräften auf die Erde zurückkehren kann. Wenn er sich weigert,
ein Schamane zu werden, stirbt er in seiner Katalepsie und wacht nie
wieder auf.
Ein anderer Schamane, der gerufen wird, um dem „Kranken“
zu helfen, erkennt sofort, dass dieser nicht wirklich krank ist,
sondern zur Schamanenwerdung berufen wurde [1].
Aufgaben des Schamanen
- Krankheiten heilen: Die Launen der Geister und der Seelen sind die Ursachen für Krankheiten.
- Mit Geistern in Kontakt zu treten, um sie um Schutz und Glück zu bitten.
-
Regen-Ritual und Blitz-Ritual: Er muss die Energie der eingeschlagenen
Blitze wieder in den Himmel schicken, um das Gleichgewicht in der Natur
zu wahren, und in Trockenzeiten um Regen beten/bzw. zaubern.
- Oba-Ritual: Kann mehrere Tage dauern und ist für das Wohl des ganzen Stammes von Bedeutung.
- Wahrsagen: Er lädt einen Geist dazu ein, in seinen Körper zu dringen. Der Geist spricht dann aus dem Körper des Schamanen.
Der
Schamane tanzt und singt während seiner Arbeit und spielt dabei auf
seiner Trommel, und er gibt sich damit selbst den Rhythmus für seine
Bewegungen. Seine Kutte und seine Onguns (Totems) beherbergen die
Geister, die ihm bei seiner Arbeit helfen. Der Schamane hat auch oft
einen kleinen runden Spiegel auf seiner Brust, der die Angriffe böser
Geister abwehren soll, oder um sie zu blenden. Außerdem soll der
Spiegel Energie aus dem Universum für den Schamanen einfangen.
Schamanen haben auch oft einen langen Stock dabei, der das Pferd (oder
ein anderes Tier) symbolisiert, auf dessen Rücken er in andere Welten
reist. Manchmal haben Schamanen auch einen Fächer, um damit Geister
abzuwehren. In seltenen Fällen haben Schamanen neben der Trommel noch
andere Musikinstrumente oder Masken [1].
„..Der Höhepunkt der
Schamanentätigkeit ist der Schamanenkampf zwischen einem guten / weißen
und einem bösen / schwarzen Taltos (Name der Schamanen bei den frühen
Ungaren), die beide in der Gestalt eines Stieres erscheinen. Der weiße
Taltos erbittet in einer Furcht vor dem Kampf menschliche Hilfe. Sie
wird ihm gegeben und besteht im Durchschneiden der Sehnen des Gegners.
Hier zeigt sich eine Ausprägung des dunklen Weltaspektes. Der gute
Taltos kämpft entweder gegen eine Krankheit, um eine Abwehr einer
Naturkatastrophe oder für günstiges Wetter.“.[8]
Schamanentrommel und
Halluzinogene
Wenn
ein anderer Bewusstseinszustand vonnöten ist, hat der Schamane eine
Vielzahl von Hilfsmitteln. Meistens benutzt er mehrere dieser
Hilfsmittel gleichzeitig. Bei einem Ritual ist die Atmosphäre, die ihn
umgibt, von großer Wichtigkeit. Viele Geister sind nachts viel stärker
als tagsüber. Die ihn umgebenden Menschen können seine Gebetsformeln
laut wiederholen und ihm damit helfen. Kreisförmige Gemeinschaftstänze
können ebenfalls Energie herbeiholen oder den Schamanen in andere
Welten befördern.
Das wichtigste Instrument für die Trance ist die
Schamanentrommel. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass der sich immer
wiederholende Rhythmus des Trommels in einer bestimmten Frequenz
tatsächlich hypnotische Zustände auslösen kann. Die Trommel wird meist
auf der Höhe des Kopfes oder des Oberkörpers gehalten, die Vibrationen
des Trommels wirken somit stärker auf den Körper ein.
Schamanen
verwenden auch oft alkoholische Getränke oder Tabak. Sie unterbrechen
dann ihr Spiel auf der Trommel, um diese Dinge zu konsumieren. Auch der
Rauch mancher Pflanzen wie z. B. der des Wacholders gelten als
Halluzinogene, der dann ins Gesicht gepustet und eingeatmet wird. Der
Rauch des Wacholder gilt sogar als heilig. Man glaubt, dass er das
Windpferd stärkt und die Geister erfreut. Ein sehr altes und starkes
Hilfsmittel ist der Fliegenpilz. Der Schamane isst die getrockneten
Pilze während der kurzen Unterbrechungen in seinem Ritual.
Das
Erklimmen des Weltenbaumes ist eines der mehreren Wege, die in die
Ebenen des Himmels führen. Der Weltenbaum hat neun Äste. Der Schamane
stimmt beim Erklimmen des Baumes einen Obertongesang an. Bei jedem Ast,
den er erklommen hat, erhöht er die Fußnote seines Gesanges [1].
Tengrismus heute
Seit dem
Zerfall der UdSSR wuchs das Interesse der Turkvölker Zentralasiens nach
ihrer eigenen Vergangenheit und damit auch das Interesse am Tengrismus.
Dies wurde in den 1990ern vor allem in Tatarstan und Russland und kurz
danach auch in Kirgisistan deutlich. Zuerst war von Bizneng-Yul (tatar.
Unser Weg) und später von Tengirchilik (Tengrismus) die Rede. Mit der
Zeit wurde die Bewegung institutionalisiert und organisiert. So
entstand 1997 die tengristische Gesellschaft in Bischkek, der nach
offiziellen Angaben 500.000 Mitglieder angehören. Eine andere
Organisation mit dem Namen Tengir-Ordo Foundation ist ein
internationales Zentrum zur Erforschung des Tengrismus. Beide
Organisationen werden von Dastan Sarygulov geleitet, der gleichzeitig
auch ein Abgeordneter des kirgisischen Parlaments ist. Diese Bewegung
trug mit einer Aufklärungskampagne dazu bei, dass auch in Kasachstan
und anderen Turkrepubliken Interesse am Tengrismus erwachte. Die
Ministerpräsidenten Kasachstans und Kirgisistans, Nursultan Nasarbajew
und Askar Akajew, erwähnen seitdem den Tengrismus immer wieder als den
natürlichen und nationalen Glauben aller Turkvölker[9].
In der
Mongolei heißt die Organisation des Tengrismus Golomt Center for
Shamanist Studies. Diese Organisation wendet sich mit ihrer
Aufklärungsarbeit, in der Hoffnung den Tengrismus auch im Westen zu
verbreiten, auch an die westliche Welt (u. a. mit der
englischsprachigen Webseite tengerism.org[10]). Einige der antreibenden
Kräfte dabei sind z. B. Dr. Sendenjaviin Dulam oder Prof. Dr.
Schagdaryn, die in weltweiten Universitäten Vorträge über den
Tengerismus halten, und sich für Interviews zur Verfügung stellen[11].
Die
Verwendung von tengristischen Symbolen wie etwa die himmelblaue Farbe
oder die Abbildungen von alten Totemtieren scheinen in Zentralasien als
nationale oder panturkistische Symbole wieder an Popularität zu
gewinnen.
Bei den Jakuten ist eine moderne Version des Tengrismus verbreitet, die sie Ayy nennen.
Und
auch in der Türkei scheint sich die Gök Tanrı Dini
(Himmelsgottreligion), Tanrıcılık oder Tengricilik vor allem in
intellektuellen Kreisen immer weiter zu verbreiten.
Der Begriff für
das Gewand der Schamanen, manyak, hat allerdings heute in der Türkei
eine ganz andere Bedeutung: Er steht für 1. irre, wahnsinnig, 2.
besessen, schrullig, 3. med. manisch, oder umgangssprachlich einfach
nur für "blöd". (13)
Forschung
Die Erforschung
des Tengrismus ist deshalb nicht einfach, weil die tengristischen
Stämme aufgrund ihrer nomadischen Lebensweise immer in Bewegung waren,
ständig fremden Einflüssen ausgesetzt waren und bis zum 6. Jahrhundert
kaum schriftliche Zeugnisse auf lange haltbaren Stoffen hinterlassen
haben. Ab dem 6. Jahrhundert sind zahlreiche alttürkische Inschriften
auf Steintafeln erhalten, die darüber Aufschluss geben, was die alten
Türken geglaubt haben. Aber die frühesten Erkenntnisse über diesen
Glauben für die Zeit bis zum 6. Jahrhundert müssen aus den frühen
Literaturen der Kulturen entnommen werden, die im Laufe ihrer
Geschichte mit türkischen Völkern in Kontakt gekommen waren und dies
schriftlich festgehalten haben. Dazu gehören chinesische, persische
oder arabische Quellen. In den meisten dieser Quellen wird das
Unverständnis der damaligen Menschen wiedergegeben, die sich keine
große Mühe geben, diesen fremden Glauben zu verstehen. Die Tengristen
werden zum Beispiel als ungeheuerliche Barbaren in Hundegestalt
dargestellt, die seltsame, gotteslästernde Dinge tun [2].
Der
türkische Gelehrte Kaşgarlş Mahmut verfasste im 11. Jahrhundert ein
türkisches Wörterbuch (Divan Lügat-ü Türk), in dem er den Ursprung
türkischer Wörter erklärte. Darin sind auch sehr viele wertvolle
Informationen über den vorislamischen Glauben der Türken enthalten. Er
empört sich zwar in seinen Formulierungen immer wieder über die
Ungläubigen, wie er sie nennt, aber sein Werk gilt bis heute noch als
eine der zuverlässigsten Quellen bei der Erforschung des Tengrismus.
Heute
beschäftigen sich zwar viele Forscher mit dem Glauben der alten Türken,
aber diese sind sich bezüglich mancher wichtiger Details nicht einig
und es sind sogar vollkommen falsche Interpretationen in Fachkreisen im
Umlauf.
Monotheismus-Theorie
Es
gibt verschiedene Ansichten darüber, ob man beim Tengrismus von einer
monotheistischen Religion sprechen kann oder nicht, da man nur schwer
sagen kann, ob die alten Türken mit dem Wort Tengri Gott oder Himmel
meinten, wenn sie es in Bezug auf andere heilig geglaubte Mächte
verwendeten, als in Bezug auf den Himmelsgott selbst. Beide Erklärungen
wären mit jeder Überlieferung vereinbar und würden einen Sinn ergeben.
Bezüglich der Religion der frühen Türken gibt es zwei konträre Auffassungen:
-
Die Türken hatten weder einen Schamanismus noch einen Totemismus,
sondern immer schon einen Monotheismus: Diese Auffassung wurde von der
Verehrung Tengris abgeleitet und vor allem von türkischen Historikern
vertreten.
- Die Türken hatten Schamanismus und Totemismus: In den
früheren Inschriften kommt das Wort für Schamane nicht vor, es ist aber
für spätere Jahrhunderte belegt und findet sich noch in einer Reihe von
nordtürkischen rezenten Sprachen. Als Quelle für die Annahme, dass die
frühen Türken Schamanisten waren, dienen unter anderem chinesische
Quellen. Auch über den Totemismus der Türken ist wenig bekannt, aber
verschiedene Indizien deuten darauf hin. Das wichtigste ist laut
SCHARLIPP der türkische Abstammungsmythos: Nach diesem sollen die
ersten Türken von einem Wolf und einer Wölfin gezeugt worden sein. Auch
im militärischen Bereich kam der Wolf vor. An der Spitze der Standarten
war ein goldener Wolfskopf angebracht und Böri (Wolf) war die
Bezeichnung der militärischen Führer der frühen Türken. [12]
Jean Paul Roux scheint hier etwas mehr Aufklärung zu bringen, wenn er schreibt:
„In
der alten Religion der Türken, die betont monotheistisch war, erscheint
deutlich auch ein Polytheismus. Es ist zu vermuten, dass der
Monotheismus besonders bei den großen Völkern den ersten Platz einnahm,
das heißt, zu den Zeiten, wo die Türken große Reiche bildeten, und dass
der Polytheismus mehr auf der populären Ebene herrschte oder in Zeiten
von Auflösung und Anarchie. In der Tat steht Tengri, der Himmelsgott,
in enger Beziehung zum Herrscher, seinem Stellvertreter auf Erden und
sogar zu seinem Sohn. Obwohl er pantürkisch ist, erscheint er als
nationaler und kaiserlicher Gott. Wie sich auf Erden jeder dem Khan als
Universalherrscher unterwirft, so muss sich jeder dem Himmel, dem Gott
des Universums, unterwerfen. Doch entdecken wir selbst mitten im Reich
der T'ue-küe neben dem Himmelsgott zahlreiche übernatürliche Mächte,
die entweder mit dem Wort Gott selbst (tengri) oder mit dem Wort
geweiht (Iduq) bezeichnet werden. Sie sind männlich oder weiblich;
letztere stehen vielleicht mehr in Beziehung zur Kaiserin, der qatun“
– Jean Paul Roux: Alttürkische Mythologie, Seite 213
Tangra?
Eine Theorie, die
vor allem bei bulgarischen Forschern verbreitet ist, sieht Tangra als
bulgarischen Namen für den altägyptischen Sonnengott Ra. Es soll die
Religion der Thraker gewesen sein. Manche bulgarische Historiker
behaupten, dass es die älteste monotheistische Religion der
Menschheitsgeschichte sei, von dem alle anderen monotheistischen
Religionen abstammten. Danach ist "Tangra" Kombination aus Tan
(Universum), Nak (Mann) und Ra (Sonnengott).
2001 gaben bulgarische Forscher einem Gebirge in der Antarktis den Namen Tangra.
Quellenhinweise
1.↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v Julie Stewart - Mongolischer Schamanismus
2.↑ a b c Dr. Peter Laut: Vielfalt türkischer Religionen: Tänriismus, Universität Freiburg [1]
3.↑
Julie Stewart studierte die Kultur der Mongolen jahrelang, bevor sie
den Schamaninnamen Sarangerel Odigan annahm und in Zusammenarbeit mit
dem Golomt Center for Shamanist Studies mehrere Artikel und ein Buch
mit dem Titel Riding Windhorses schrieb.
4.↑ Urreligion der Ungaren
5.↑
Wörterbuch der Mythologie, Band 2, Stuttgart 1973, Hsg. Norbert Reiter,
S.249, darin: der Aufsatz von M. de Ferdinandy, Die Mythologie der
Ungarn.
6.↑ Tangrist sanctuaries
7.↑ Wilhelm Radloff
8.↑
Wörterbuch der Mythologie, Band 2, Stuttgart 1973, Hsg. Norbert Reiter,
S.212, darin: der Aufsatz von M. de Ferdinandy, Die Mythologie der
Ungarn.
9.↑ Tengrismus:Auf der Suche nach den geistigen Wurzeln Zentralasiens/Marlene Laruelle
10.↑ tengerism.org - practicing tengerism
11.↑ www.eurasischesmagazin.de
12.↑
Religion der frühen Türken und Mongolen, in: Einführung in die
Ethnologie Zentralasiens (Skript), Universität Wien, S.110 [2]
- Julie Stewart: Mongolischer Schamanismus, Golomt Center for Shamanist Studies, Ulaanbaatar, Mongolia [5]
- Dr. Peter Laut: Vielfalt türkischer Religionen: Tänriismus, Universität Freiburg [6]
- Rafael Bezertinov: Tengrianizm:Religion of Turks and Mongols [7]
-
Käthe Uray-Kőhalmi, Jean-Paul Roux, Pertev N. Boratav, Edith Vertes:
Götter und Mythen in Zentralasien und Nordeurasien. ISBN 3-12-909870-4
Daraus: Jean-Paul Roux: Die alttürkische Mythologie (Seite 173 - 278);
Pertev N. Boratav: Die türkische Mythologie der Oghusen und Türken
Anatoliens, Aserbaidschans und Turkmenistans (Seite 279-481)
-
Marion Linska, Andrea Handl, Gabriele Rasuly-Paleczek: Religion der
frühen Türken und Mongolen, in: Einführung in die Ethnologie
Zentralasiens (Skript), Universität Wien, S.109 [8]
Literatur
- Ágnes Birtalan: Die Mythologie der Mongolischen Volksreligion, Stuttgart 2000.
-
Walther Heissig / Giuseppe Tucci: Die Religionen Tibets und der
Mongolei, Die Religionen der Menschheit Bd. 20, Stuttgart [u.a.] :
Kohlhammer 1970; engl. Übers.: The religions of Mongolia, London 1980,
ISBN 0710306857.
- Günter Lanczkowski: Art. Mongolische Religion, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 23, 209-211.
-
Andras Rona-Tas: Materialien zur alten Religion der Turken, in: Walther
Heissig / Hans-Joachim Klimkeit (Hgg.): Synkretismus in den Religionen
Zentralasiens: Ergebnisse eines Kolloquiums vom 24.5. bis 26.5.1983 in
St. Augustin bei Bonn, Wiesbaden 1987, 33–45.
- Jean-Paul Roux:
Tängri: Essai sur le ciel-dieu des peuples altaïques, in: Revue de
l’histoire des religions 149 (1956), 49–82.197–230, 150 (1956),
27–54.173–212; 154 (1958), 32–66.
- Jean-Paul Roux: Art. Tengri, in: Encyclopedia of Religion, Bd. 13, 9080-9082.
Bruno
J. Richtsfeld:Rezente ostmongolische Schöpfungs-, Ursprungs- und
Weltkatastrophenerzählungen und ihre innerasiatischen Motiv- und
Sujetparallelen. In: Münchner Beiträge zur Völkerkunde. Jahrbuch des
Staatlichen Museums für Völkerkunde München Band 9, 2004, S. 225 - 274.
Text aus Wikipedia
(20.12.2009)
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